So war es bei YUNGBLUD

07. Oktober 2025, Düsseldorf, Mitsubishi Electric Halle
Als ich Yungblud vor zwei Jahren erstmalig bei Rock am Ring sah, war ich sofort schwer begeistert von dieser ungebremsten Energie und seiner besonderen Verbindung zum Publikum – auch wenn ich zuvor noch dachte, er sei vor allem ein Phänomen für ein sehr junges Publikum. Doch da irrte ich mich! Der jüngst im Kino gezeigte Dokumentarfilm über ihn hat mir zudem berührend vor Augen geführt, wie vielschichtig Dominic Richard Harrison als Mensch und Künstler ist: verletzlich, rastlos, getragen von dem Wunsch, etwas Echtes zu hinterlassen.
Metamorphose
Dabei war sein Weg alles andere als leicht. Die letzten Jahre – der Übergang vom rebellischen Jungstar zum gereiften Musiker – waren voller Brüche und Zweifel. Doch gerade diese Zerrissenheit macht seine Kunst so nahbar. Mit seinem aktuellen Album „Idols“ hat er einen bedeutenden Meilenstein erreicht. Wer ihn heute auf der Bühne erlebt, sieht nicht nur einen Entertainer, sondern jemanden, der gewachsen ist – und dessen Botschaft stärker denn je strahlt. Sein Auftritt beim Abschiedskonzert von Black Sabbath und Ozzy Osbourne, bei dem er „Changes“ sang, war weit mehr als eine Geste des Respekts. Diese Performance wurde zu einem symbolträchtigen Moment: eine tiefe Verneigung vor einem Freund und einer Legende, zugleich aber auch ein Schritt in eine ganz neue Liga. Yungblud zeigte sich überaus präsent, kraftvoll, stimmlich überragend – und war danach in aller Munde. Damit war er endgültig in der ersten Liga angekommen. Seine Version erschien zudem als Charity-Single, deren Erlöse in Hospize, Kinderkrankenhäuser und die Parkinson-Forschung flossen. So setzte er ein weiteres starkes Zeichen: Yungblud wird nicht mehr nur als Pop- oder Rockkünstler wahrgenommen, sondern als jemand, der sich zwischen den Generationen bewegt, von Legenden respektiert wird und gleichzeitig seine eigene Stimme behält.
Brückenbauer
In Düsseldorf präsentierte der Brite sein neues Album – und schon lange zuvor war das Konzert restlos ausverkauft. Doch wie sieht sein Publikum heute aus, mit 28 Jahren? Kreischende Teenies? Fehlanzeige! Stattdessen füllten sorgsam gestylte Menschen verschiedener Altersklassen die Halle. Nicht nur die „klassische“ Szene war vertreten, auch hippe Eltern kamen gemeinsam mit ihren inzwischen erwachsenen „Kindern“. Es wurde deutlich: Yungbluds Musik schlägt Brücken zwischen unterschiedlichen Lebenswelten – und genau das war an diesem Abend in jeder Ecke der Mitsubishi Electric Halle zu spüren.
Startschuss mit Disziplin und Glitzer
Zunächst eröffnete die Band Weathers den Abend. Obgleich sich der Einlass um rund 15 Minuten verzögerte, begann das Quartett planmäßig um 19:00 Uhr. So füllte sich die Halle erst nach und nach, während die ersten Songs bereits erklangen. Schon vor den Türen war klar: Sicherheit hatte oberste Priorität. Die Fans wurden mit Flatterbändern in geordnete Bahnen gelenkt, ehe Securities die Menge in Zweierreihen und in betont gemächlichem Tempo direkt vor die Bühne führte. Gesitteter kann ein Einlass nicht ablaufen. Weathers, die stilistisch zwischen Alternative Rock und Indie Pop/Rock angesiedelt sind, betraten schließlich die Bühne. Sänger Cameron Boyer fiel sofort ins Auge: im schwarzen Anzug, darunter ein weißes Netzshirt, die Schläfen mit Glitzer versehen. Gleich zu Beginn versprühte „Happy Pills“ gute Laune – ein Song, der die Balance zwischen poppiger Leichtigkeit und nachdenklicher Note hält. Mit einem Gruß an das Düsseldorfer Publikum („Germany, how are you doing tonight? We are Weathers from Los Angeles, California.“) stellte die Band sofort eine Verbindung her.
Zwischen Außenseiter-Hymne und Ausblick
Ein erstes emotionales Highlight folgte mit „Lonely Vampire“. Boyer leitete den Song mit den Worten ein: „Germany, if you have anxiety, social anxiety, depression or whatever it is – this song is dedicated to you, alright?“ Der Text ist eine Hymne für alle, die sich fehl am Platz fühlen – ein ironisches Bekenntnis zur eigenen Außenseiterrolle, verpackt in eingängigen Indie-Pop. Der Refrain beschreibt treffend das Gefühl, trotz Unsicherheit dazugehören zu wollen. Besonderen Applaus gab es für ihr Cover von Chappell Roans „Pink Pony Club“, bei dem Drummer Cole Carson mit einem Drumsolo glänzte. Danach kündigte Boyer eine Premiere an: „We’re gonna play a brand new song for you. This is a song called ,Ugly’.“ Der Track hob sich tatsächlich von den anderen ab, wirkte frischer und direkter – ein Ausblick auf neue Facetten der Band.
Das Publikum singt sich in Szene
Ein Höhepunkt der Show kam mit „Where Do I Sign?“. „Can we all sing together real quick? I’m gonna teach you guys something, ok? ,My mind, my mind. Sleep tight, goodnight’”, – forderte Cameron Boyer das Publikum auf. Die Menge stieg begeistert ein, sang überaus wohlklingend mit und klatschte eifrig im Takt. Währenddessen tanzte Cameron wild über die Bühne, ließ sich auf die Knie fallen und quittierte die Resonanz mit einem strahlenden „You guys sound beautiful. Thank you.” Auch Bassist Brennen Bates zog die Blicke auf sich – nicht nur wegen seines markanten Vokuhila-Schnauzer-Looks, sondern durch seine Energie und sein ständiges Mitgehen. Erste „Woohoo“-Rufe hallten durchs Publikum. „You guys have too much fun. This has been fucking amazing. This is our last song, it’s called ,C’est La Vie’.” Der Closer verbindet eingängige Indie-Hooks mit einem nachdenklichen Text – ein Stück über Resignation und Lebenslust, verpasste Chancen und die ernüchterte Suche nach Glücksmomenten. „See you next time Germany, good night.” – Mit diesen Worten verließen Weathers zu dem Outro „Don’t Fear the Reaper“ von Blue Öyster Cults nach 30 Minuten die Bühne.
Zwischen Fashion und Glam Rock
Als zweiter Support des Abends traten Palaye Royale auf – drei Brüder aus Las Vegas, die sich selbst als „Fashion-Art-Rock“-Band bezeichnen. Stilistisch zwischen Glamrock, Alternative und Punk angesiedelt, prägen sie nicht nur durch ihre Musik, sondern auch ihr extrovertiertes Auftreten. Passend dazu rahmte ihr v-förmig zulaufender, mit Glühbirnen beleuchteter Bandname die Bühnenmitte ein. Die Stimmung war inzwischen deutlich angestiegen, und dementsprechend laut wurden die US-Amerikaner empfangen. Mit „Mister Devil“ nahmen sie die Bühne im Sturm ein. Gitarrist Sebastian Danzig suchte sofort die Nähe zu den Fans, kletterte auf die Boxen vor der Bühne und spielte in direktem Kontakt zum Publikum. „Death or Glory“ folgte – ein Song, der im Stil stark an Måneskin erinnerte und vom Publikum hüpfend gefeiert wurde. Einziger Wermutstropfen: der Sound. Vor allem die Reibeisenstimme von Remington Leith war leider zu leise abgemischt und kam nicht mit der vollen Intensität rüber, wie man es sonst von ihm kennt.
Zwischen Schwere und Licht
„Was geht ab? Germany, throw your motherfucking hands up to the sky!” – rief Leith, und bei „No Love in LA“ schwangen die Arme der Menge im Takt. Bald entledigte er sich seines Shirts und performte fortan oberkörperfrei. Sebastian Danzig rockte engagiert und präsent weiter, drehte sich bei „Addicted to the Wicked & Twisted“ im Kreis. Besonders emotional wurde es bei „Dying in a Hot Tub“. Leith bat das Publikum: „Could you do me a favour? Could everyone take those flashlights on? All the way back there.“ In der Halle erstrahlte ein Lichtermeer, passend zu diesem hymnisch-melancholischen Song, der von Selbstzweifeln, Einsamkeit und Abstürzen erzählt – und in seiner poetischen Schwere tief berührte.
Nahbares Finale
Bei „You’ll Be Fine“ tobten sich die Musiker weiter aus: Sebastian begab sich in den Bühnengraben, während Remington sich seitlich auf die Ränge begab und dort für Jubel sorgte. Noch mehr Nähe folgte bei „Mr. Doctor Man“, als der Sänger die Menge mit Gesten bat, die Mitte zu teilen, um direkt in den Pit abzutauchen. Unter Jubel und einem Drumgewitter spuckte Sebastian Wasser in die Höhe – eine Szene wie aus einem Rock’n’Roll-Film. Zum Abschluss erklang ihr Ohrwurm „For You“. Ein Song über verflossene Liebe, vergebliche Vergleiche und den Schmerz des Verlusts – zugleich aber ein leidenschaftliches Bekenntnis, das Publikum sofort mitsingen ließ: „‘Cause all I want is you / I’m breaking all the rules for you…“ – getragen von den Stimmen der Menge. Nach 40 Minuten bedankte sich Remington auf Deutsch bei den Fans, ehe Palaye Royale die Bühne für den Headliner freigaben.
Im Zeichen von Ozzy
Und dann nahm die Magie ihren Lauf. Als Intro erklang „War Pigs“ von Black Sabbath. In Yungbluds Musikvideo zu „The Funeral“ (im Jahr 2022) waren bereits Sharon und Ozzy Osbourne zu sehen – damals schenkte Ozzy dem jungen Musiker eine Kreuzkette, die Dom seitdem ständig begleitet. Zwischen den beiden entwickelte sich eine besondere Freundschaft, Ozzy wurde zum Mentor und Unterstützer. Einige Tage nach dem Tod des „Prince of Darkness“ postete Dom ein Foto der Kette in seiner Hand mit den Worten: „your light will forever shine. I love you.“ Doch nun lag es an Yungblud, selbst in der Rockwelt zu erstrahlen. Würde es ihm auch an diesem Abend gelingen? Seitlich auf der Bühne positionierten sich die Begleitmusiker – von Streichern über Gitarre und Bass bis hin zu Schlagzeug und Keys. Dahinter hing ein schwarzer Satinvorhang, vor dem sich weiße, riesige Engelsflügel spannten, flankiert von zwei Löwen, die sich wie Wächter gegenüberstanden. Das Bühnenbild spiegelte die neue Ära seines Albums „Idols“ wider: Das Löwenmotiv steht für innere Stärke, Kraft und Mut, die Dom mit diesem Werk gefunden hat. Die Flügel hingegen symbolisieren das Über-sich-Hinauswachsen – eine Metapher für Freiheit, Aufbruch und zugleich ein Kontrast zur Erdung und Wucht der Löwen.
Neun Minuten voller Zauber
Die ersten Klänge von „Hello Heaven, Hello“ setzten ein, während auf den Leinwänden neben der Bühne das Wort „Hallo“ in unzähligen Sprachen erschien. Und dann betrat Yungblud die Bühne! In Lederhose, schwarzer kurzer Weste und Sonnenbrille trat er vor sein Publikum. Mit sanfter Stimme setzte er seinen Gesang an – die 7.500 Fans in der Halle flippten vor Freude aus. Als er plötzlich einen Schrei ausstieß, sprang er in die Höhe und weißes Konfetti schoss in die Menge. Dom stürmte Richtung Drumset, legte Brille und Weste ab. Mit nacktem Oberkörper kippte er sich einen Becher Wasser über den Kopf, das weit umherspritzte, während er seine nassen Haare schwungvoll in den Nacken schleuderte. Besonders als Opener entfaltete der über neun Minuten lange Song seine ganze Kraft: vom sanften Beginn steigerte er sich in einen rockigen Part, der sich hymnisch erhob, um schließlich in sphärischen Tönen auszuklingen. „Hello Heaven, Hello“ ist ein Aufruf, sich lebendig zu fühlen und sich nicht von den Lügen und Verletzungen anderer kleinhalten zu lassen. Er erzählt vom Schmerz der Kindheit, von Abwertung und Zweifeln – und stellt die Frage, ob man im Leid verharrt oder den Sprung wagt. Das repetitive „Hello“ wurde zum Mantra, die Fans stimmten voller Freude mit ein – und Yungblud strahlte mit ihnen um die Wette. Ein sagenhafter Auftakt voller Energie und Bedeutung.
Gemeinsam anders
„Holy shit, Düsseldorf – you look beautiful! Are you motherfuckers ready? Go! Hey, hey…“ Mit diesem Ruf startete der Brite „The Funeral“ – und die Party war endgültig eröffnet. In der ganzen Halle wurde getanzt und Yungblud erwies sich als absoluter Publikumsmagnet: Obgleich die Bühne voller Musiker war, wanderte der Blick unweigerlich immer wieder zu diesem Ausnahmekünstler. Musikalisch verbindet der hybride Song treibenden Indie-Rock mit Punk-Pop – samt mitreißender Refrains, die sofort ins Ohr gehen und live ihre volle Wucht entfalten. Und inhaltlich ist er weit mehr als ein Tanzhit – er spielt mit der eigenen Beerdigung als Metapher für Selbstzweifel, Neuanfang und die Entscheidung, das Leben trotz aller Dunkelheit zu feiern. Es folgte „Idols Pt. I“ – und wie Yungblud dabei seinen Körper einsetzte! Gekonnt schwang er seine Hüften, strich mit zarter Hand über den Mikroständer, riss die Arme in die Höhe und tauschte heiße Blicke aus. „It is good to be back in Deutschland. Are you motherfuckers going crazy? I’m Yungblud and I’m fucking crazy!“, schrie er ins Mikro, und die Menge sprang mit ihm in die Höhe. Gemeinsam tauchte man in diese ganz eigene, rauschhafte Welt ein.
Epik vs. Leidenschaft
„Düsseldorf, let me see your hands in the air!“ Mit diesen Worten leitete Yungblud „Lovesick Lullaby“ ein – ein Song, der live mit seiner Mischung aus bittersüßer Melancholie und treibender Dringlichkeit überzeugte. Überrascht wurde das Publikum von lauten Feuersalven, die dem ohnehin kraftvollen Auftritt noch mehr Intensität verliehen. Dementsprechend laut quittierte die Menge ihre Begeisterung. „Holy fucking shit!“ – Doch sein Erstaunen konnte Dom nicht lange durchblicken lassen, denn direkt setzte er zu „My Only Angel“ an, dem Song, den er jüngst zusammen mit Aerosmith aufgenommen hat – und welche Wucht dieser live hatte! Der Track, der als Studiotrack bereits episch wirkt, gewann hier noch einmal an Tiefe. Warmes Licht hüllte die Szenerie ein und seine Stimme schien aus einer anderen Welt zu sein. Zwischen den auflodernden Flammen bewegte sich der Brite lasziv und entfesselt – ein Auftritt, der pure Hingabe verströmte.
Ein Fan wird Teil der Show
„How are you feeling tonight? I fucking love Germany – ich liebe dich, Deutschland.“ Neckisch fragte Yungblud, ob ihn jemand fesseln wolle, nahm die Hände hinter den Rücken und zog eine putzige Schnute. Kleine Späße wechselten mit intensivem Blickkontakt – bis er plötzlich fragte, ob jemand Gitarre spielen wolle. Ein junger Mann nutzte die Chance, überwand den Graben und stand kurz darauf neben Dom auf der Bühne. „Are you sure you can play it?“, fragte er lachend. Doch Luke aus Köln blieb standhaft, wurde von Dom umarmt und durfte „Fleabag“ mit Yungbluds Gitarre begleiten. Mutig jammte er sogar mit dem anderen Gitarristen, als wäre es das Normalste der Welt – und das Publikum feierte ihn frenetisch. „Fleabag“ selbst ist ein Song über Selbsthass, innere Zerrissenheit und das Gefühl, nicht dazuzugehören: „I’m just a fleabag, nobody loves me / Send me to rehab, somebody touch me.“ Ein raues, kompromissloses Stück, das Schmerz und Trotz in gleicher Wucht ausdrückt. Voller Inbrunst sangen die Fans jede Zeile mit, bis die Halle nahezu bebte. Dom zog an einer Zigarette, rannte am Bühnengraben entlang mitten ins Publikum und ließ sich stehend auf Händen tragen. Lässig über den Köpfen der Menge stehend, performte er voller Intensität weiter – ein Bild, das sich einbrannte. „Ich liebe dich, you crazy motherfuckers!“ – Wahnsinn!
Fanstapelei & heiße Szenen
„Yeah! Make some noise. Are you ready to rock with me? I want fucking chaos! Are you ready to go crazy?” Yungblud forderte die Fans auf, sich gegenseitig auf die Schultern zu nehmen. Immer mehr folgten seinem Aufruf – doch das genügte ihm nicht. Er wollte noch mehr. Bald saßen reihenweise junge Frauen auf den Schultern ihrer Liebsten, und „Low Life“ verwandelte sich in ein ausgelassenes Spektakel. Der Song selbst ist geprägt von einem Sprechgesang im Eminem-Stil, rotzig, schnell und voller Attitüde. Dazu feuerten Flammen in die Höhe, während Dom kess mit dem Hintern wackelte und genau wusste, welche Wirkung er mit jeder seiner Bewegungen erzeugte. „You’re fucking amazing!“
Ozzys Vermächtnis
„Ozzy“-Rufe setzten ein, als die Melodie von Black Sabbaths „Changes“ einsetzte. Dom blickte nach oben, küsste flüchtig das Kreuz an seiner Kette und erhob sein Getränk: „You know, I sing this song to a dear friend of mine in the sky tonight, dear Düsseldorf. I wanna dedicate this song to Mr. Ozzy fucking Osbourne. A man that I believe is the reason, why some of us know each other, right? Is this anybody’s first ever Yungblud show tonight? Holy shit, welcome to the family. Cheers, prost!“ Er warf seinen Becher weit in die Menge hinein. Dann wurde er ernst: „It feels so strange to me, singing this song tonight in Düsseldorf. Because when we lost Ozzy, I thought I would sing this song for the rest of my life to keep that motherfucker’s legacy alive, man! ‘Cause this is rock’n’roll music – and rock’n’roll is about love! Ozzy Osbourne was about love! Yungblud is about love. You motherfuckers are about love, man! Now Düsseldorf, can I ask of you one thing? I want everybody to look right and to look left to the person next to him right now. Say hello motherfucker. Say I love you! And now, sing this song ,Changes’ with me.”
In Gedenken
Die Fans trugen ihn durch diesen schweren Moment – nicht nur stimmlich. Überall gingen Hände hoch, zu Herzen geformt. Zu der Pianomelodie erklang seine Stimme gefühlvoll und kraftvoll zugleich, während dichter Bodennebel seine Beine umhüllte und ihn wie auf Wolken erscheinen ließ. Das Gitarrensolo schwebte traumhaft schön darüber, Dom selbst war sichtlich ergriffen und wischte sich eine Träne aus dem Auge. Berührt blickte er eine Weile in die Menge – und auch ich spürte einen schweren Kloß im Hals. „Düsseldorf, are you with me? Hände hoch! And scream as loud as you can!” Noch einmal setzte er zum Refrain an, ließ die Menge dann aber allein singen und den Song ausklingen. Bewegt klopfte er sich auf sein Herz. Ein Moment voller Liebe, Verlust und Verbundenheit. Puh!
Achtung. Brandgefahr!
Kontrastreich ging es nun mit „Fire“ zur Sache. Das Bühnenbild erstrahlte in glutrotem Licht, die Energie kochte hoch. Yungblud wirbelte wild sein Mikrofon über dem Kopf, während „Hey, hey“-Rufe durchs Publikum hallten. Heiße Tanzeinlagen ließen die ohnehin schon suggestiven Lyrics noch realer wirken. Im Film hatte Dom lachend erzählt, der Song handle schlicht von Sex – und tatsächlich steckt in „Fire“ eine rohe, körperliche Direktheit, die mit jeder Zeile lodert. Der Text spielt mit Verführung und Macht, mit Lust und Kontrolle – ein Wechselspiel aus Reiz und Warnung. Live entfaltete der Song eine ungebändigte Wucht: pulsierend, körperlich, fast ekstatisch. Die Fans ließen sich sofort anstecken und schrien die Refrains aus voller Kehle zurück. Pure Lebensfreude strahlte Dom aus, als er „Ice Cream Man“ in poppig pinkem Licht performte. Mit einem Tamburin in der Hand strahlte er ausgelassen – sein Lachen war so ansteckend, dass es die ganze Halle erfasste. Der Song selbst, verspielt und voller jugendlicher Energie, entfaltete live einen unwiderstehlichen Charme. „Düsseldorf are you with me? I can’t see you. Come on.” Ein Singspiel mit der Menge im Wechsel sorgte für Erheiterung. „I wanna see you jump. This song is called ,Loner‘“. Damit endete der offizielle Teil des Abends. Ein Stück, das zwischen Melancholie und Trotz pendelt – und live zu einer Hymne für alle Außenseiter wurde, die an diesem Abend gemeinsam Stärke fanden.
Ein Hauch von Ewigkeit
Doch niemand wollte sich mit diesem Ende zufriedengeben, und so folgten die Zugaben. Den Auftakt machte „Ghost“ vom aktuellen Album „Idols“. Über den schweren Lyrics, die von Schmerz, Verlust und dem Kampf gegen das Aufgeben erzählen, lag eine fast spirituelle Atmosphäre. Besonders die Zeilen des Refrains standen sinnbildlich für diesen Abend: „Then you looked up to the sky and said: My God, what a beautiful scene, now I know what you mean. Wanna stay here forever. God, what a beautiful scene, now I know what you mean, You’re my gateway to heaven.” Dom breitete dazu seine Arme aus – und man hätte am liebsten die Zeit angehalten. Getragen wurde die Szenerie von einem betörenden Streicherteppich, der die Melodie noch größer und erhabener wirken ließ. Eine Gänsehaut breitete sich aus, während rotes Konfetti durch die Luft wirbelte und greifbares Glück die Halle erfüllte. Erschöpft ließ sich Dom auf den Boden sinken, atmete tief durch und blickte schließlich mit einem schelmischen Zwinkern über den Bühnenrand. „Thank you for partying so hard with me, Düsseldorf. Dankeschön, ich liebe dich.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Yungblud – und gab zugleich ein bedeutungsschweres Versprechen ab: „I come as able back to Düsseldorf every year until I diiiiieeeeee! Bludfest Düsseldorf?“ Die Schreie nahmen kein Ende, begeisterte „Bludfest Düsseldorf“-Rufe hallten durch die Halle. Das „Bludfest“ – Yungbluds eigene Festival-Idee, die er bereits in England ausgerufen hatte – steht für eine von ihm kuratierte Show, eine große Feier seiner Musik, seiner Community und der Message von Zusammenhalt. Der Gedanke, dieses Konzept auch nach Düsseldorf zu bringen, elektrisierte die Menge. Und an diesem Abend spürte man, wie sehr diese Idee auch hier funktionierte: Die Fans waren zuckersüß und liebevoll miteinander, achteten aufeinander, kamen ins Gespräch – und verschmolzen zu einer Einheit.
Wenn Furcht Nähe zulässt
„We’re talking about it. This is our last song. This is called ,Zombie’. I love you, thank you so much.” – mit diesen Worten griff er zur Gitarre. „Zombie“, Doms erklärter Lieblingssong des neuen Albums, markierte den perfekten Schlusspunkt. Das Stück selbst kreist um das Ringen mit innerem Schmerz, das Schweigen über eigene Wunden und die Angst, als gebrochene Version seiner selbst zurückgewiesen zu werden: „Would you even want me looking like a zombie?“ Ein Stück voller Verletzlichkeit, das dennoch Hoffnung trägt. In der Halle war die Intensität spürbar: Hände gingen hoch, Stimmen vereinten sich, als ein letztes Mal der Refrain dieses begnadeten Liedes erklang. Mütter und Töchter lagen sich bewegt in den Armen – überall lag Liebe in der Luft. Mit breitem Lächeln und glänzenden Augen, einem liebevollem „Gute Nacht“ und einem letzten Luftkuss ins Publikum verabschiedete sich Yungblud.
Nachklang
Auf dem Heimweg spürte ich deutlich, wie warm mir ums Herz war – und dieses Gefühl hält bis heute an. In diesem Jahr habe ich so viele große Bands live erlebt, Bands, die mir alles bedeuten: Nine Inch Nails, Linkin Park, Bring Me the Horizon … doch, wenn ich auf diesen Abend zurückblicke, steht fest: Für mich war dieses das Konzert des Jahres! Was Yungblud von anderen Künstlern unterscheidet? Er handelt aus tiefstem Herzen und lebt, was er tut – mit jeder einzelnen Faser. Ihm gelingt es, den einstigen Spirit von Ozzy in die Moderne zu tragen. Und mehr noch: Er verschmilzt Unterschiede, verbindet nicht nur Generationen und Subkulturen, sondern schafft Verständnis und Wärme füreinander. Genau das, was uns in unserer Zeit so oft fehlt. Was soll ich sagen? Ich fürchte, wir haben einen neuen Prince of fucking Darkness! Herzlichen Glückwunsch, Mr. Dominic Richard Harrison.
Yungblud hat uns gezeigt: Die Zukunft des Rock ist bereits da – und sie trägt ein breites Grinsen, eine Kreuzkette und ein offenes Herz. Wenn Rock’n’Roll Liebe bedeutet, dann war dies die lauteste Liebeserklärung des Jahres. Und zum Glück hat Dom an diesem Abend offiziell ein Jahresabo in Düsseldorf abgeschlossen – Auftakt für das nächste Bludfest?
Setlist WEATHERS:
„Happy Pills“ • „I’m Not Ok“ • „Lonely Vampire“ • „Pink Pony Club“ (Chapell Roan Cover) • „Ugly“ • „Where Do I Sign?“ • „All Caps“ • „C’est La Vie“
Setlist PALAYE ROYALE:
„Mister Devil“ • „Death or Glory“ • „No Love in LA“ • „Addicted to the Wicked & Twisted“ • „Dying in a Hot Tub“ • „Fucking with My Head“ • „You’ll Be Fine“ • „Mr. Doctor Man“ • „For You“
Setlist YUNGBLUD:
„Hello Heaven, Hello“ • „The Funeral“ • „Idols Pt. I“ • „Lovesick Lullaby“ • „My Only Angel“ • „Fleabag“ • „Lowlife“ • „Changes“ (Black Sabbath Cover) • „Fire“ • „Ice Cream Man“ • „Loner“ ••• „Ghosts” • „Zombie“
Text: Nadine Kloppert
Photos: Michael Gamon
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