So war es bei HEILUNG

19. September 2024, Köln, Palladium
Du möchtest unserer stressigen Welt mal für ein Weilchen entfliehen, dir selbst etwas Gutes tun und für Entschleunigung sorgen? Dann bist du hier genau richtig. Denn wir waren es auch, als wir die aktuelle Tour von Heilung besucht haben. Dass Konzertbesuche Balsam für die Seele sein können, war uns bereits bewusst. Doch die Rituale von Heilung entführen einen in eine wundersame Parallelwelt.
Erfrischender Start
Bereits auf dem Weg zum Kölner Palladium fielen uns vor allem die nicht gerade die typischen Musikliebhaber auf. Wir nahmen vielerlei geflochtene Zöpfe, Fellüberwürfe, aufwendig bemalte Gesichter und auch kleine Geweihe oder Blumengestecke wahr, die zuvor an Haarreifen drapiert wurden. Viele englischsprachige Fans mischten sich unter die leicht aufgeregt wirkenden Besucher. In der ausverkauften Konzerthalle erwartete uns während der Wartezeit keine ablenkende Musik. Stattdessen sorgten Vogelgezwitscher und ein sanftes Bachgeplätscher vom Band für eine angenehme Atmosphäre.
Mythischer Special Guest
Als Special Guest der Tour trafen wir im Vorprogramm auf Zeal & Ardor. Vor kurzem ließ das Sextett sein flammneues Studioalbum „Greif“ erwachen. Inspiriert von einem fantasievollen Mischwesen aus Vogel und Löwe, das jährlich bei einer Zeremonie durch Basel (die Heimatstadt des Sängers Manuel Gagneux) zieht, präsentiert sich der Neuling ebenso stolz, majestätisch und vielseitig wie der Greif selbst. War die Band bislang für ihren genialen Mix aus Black Metal und Gospelelementen bekannt, reichert sie fortan ihre musikalische Spannweite mit Blues, elektronischen Klängen, astreinem Rock und gar Hardcore-Elementen an.
Rasanter Anstieg
Pünktlich um 20:00 Uhr erstrahlten die drei Mikrofonständer der Sänger im Nebel. Das Logo der Band zierte ein riesiges Backdrop, das punktuell mit LEDs versehen war. Der Opener „The Bird, the Lion and the Wildkin“eröffnete den ereignisreichen Abend. Genau wie bei der Parade in Basel wurde der Einstieg von engagierten Trommelrhythmen begleitet. Zu einer mystischen Melodie und wohlklingenden Gitarren gesellte sich die warme Stimme von Manuel Gagneux. Weite Kapuzen bedeckten die Gesichter der fünf Musiker, die sich schwarz gekleidet nebeneinander vor dem Drummer am Bühnenrand platzierten. Nach dem ruhigen Einstieg ging es dann aber mächtig zur Sache. Die Verhüllungen wichen und mit voller Wucht und biestigen Screams schmetterten uns Zeal & Ardor ihre „Götterdämmerung“ entgegen. Lediglich der glasklare Refrain ermöglichte es einem, die eigene angespannte Atmung wieder in den Griff zu bekommen. Während einige Fans extra für die Schweizer angereist sind, und diese ihre Band sichtlich feierten, sah der Rest des Publikums ruhig, aber durchaus interessiert zu.
Abliefern statt reden
Mit voller Härte aber auch kontrastreichen Gitarrenmelodien präsentierte sich „Tuskegee“. Growls und spitze Schreie bahnten sich ihren Weg durch die rappelvolle Halle. Ein junger Mann mit Fellumhang sowie Knochenkrone ließ sich unweigerlich von den voluminösen Klängen mitreißen. Auch der Rest der Menge klatschte plötzlich mit. Für Manuel war es der ideale Zeitpunkt, die 4.000 Besucher zu begrüßen: „Einen schönen guten Abend. Wir sind Zeal & Ardor und nicht besonders gut im Reden. Darum kommt jetzt Musik.” Mit dem poetischen Song „To My Ilk“ schuf Manuel eine Ode an ein unterdrücktes Volk. Samt einer tiefen Traurigkeit in der Stimme, erzeugte der Sänger anklagende Augenblicke. Den Titel „Devil Is Fine“ kann die Band als ihren bislang erfolgreichsten Song verbuchen. Zahlreiche Schöpfe wurden zu dem Kracher „I Caught You“ geschwungen, ehe sich Zeal & Ardor mit „Clawing Out“, dem bislang härtesten Track ihrer Karriere, verabschiedeten. Während sich der mehrstimmige Refrain Mantra-artig wiederholte, erklang Manuels Stimme so bestimmt und furchtgebietend, dass einem ein Schauer über den Rücken lief. Der dazu aufbäumende Sound wirkte zudem gespenstisch. Packender kann man ein Konzertfinale nicht gestalten!
Einstimmung
Völlig konträr zu der soeben erlebten Härte, setzten in der 30-minütigen Umbaupause wieder die emsigen Vogelstimmen und das beruhigende Rauschen des Wassers ein. In Windeseile ist hinter dem geheimnisvollen Vorhang eine beeindruckende Bühnenkulisse entstanden. Zahlreiche Bäume sorgten neben mit Geweihen bestückten Mikroständern, altertümlichen Aufbauten und riesigen Trommeln für einen Look aus einer längst vergangenen Zeit. Der Gründer von Heilung, Kai Uwe Faust, betrat als Erstes die Spielstätte. Er trug ein aufwendig gestaltetes Gewand, das mit lauter unterschiedlichen schmalen, flatterigen Stoffbahnen versehen war. Mithilfe eines Zweigwerks verteilte er großzügig den Dampf von Weihrauch, um auf das bevorstehende uralte Gebet einzustimmen. Neben Maria Franz und Christopher Juul schritt auch das Kollektiv von Heilung langsam einher. Gemeinsam bildeten sie einen Kreis und zusammen mit dem Publikum sprachen sie die Worte ihrer bedeutungsvollen Eröffnungs-Zeremonie: „Remember, that we all are brothers. All people, beasts, trees and stone and wind. We all descend from the one great being, that was always there. Before people lived and named it, before the first seed sprouted.“
Augenweide
Christopher bließ kräftig in ein Horn und eröffnete damit den ersten Titel: „In Maidjan“. Im Hintergrund machten sich zwei Trommler mit vollem Körperansatz ans Werk. Zeitglich schlugen sie im Takt auf ihre riesigen Instrumente ein. Kai Uwe stieg stimmlich mit seinem beeindruckenden Obertongesang ein, der an mongolische Laute erinnerte. Die Faszination begann. Zu „Alfadhirhaiti“ stand Maria zunächst im Fokus des Geschehens. Ihr schneeweißes Kleid war unter den Armen mit weißen Schnüren und Federn bestückt, die an einen Traumfänger erinnerten, wenn sie ihre Arme vor ihrem Körper kreisförmig zusammenschloss. Wie immer, waren die Gesichter von Kai Uwe und Maria fransenartig bedeckt und auf ihren Köpfen trugen sie schmuckvolle Geweihe. Vergnügt erhob der Sänger sein Trinkhorn und die Fanschar reagierte prompt mit einem einheitlichen „skål“. Mit einem stattlichen Wolfsruf begrüßte er das Publikum, welches ebenso darauf antwortete. Schon waren Band und Fans gedanklich miteinander vereint. Zahlreiche Krieger mit Speeren und Schilden positionierten sich in der Bühnenmitte, um Kai Uwe stapfend und stimmlich zu unterstützen.
Ausdauer
Fortan bildeten die Kämpfer einen Kreis und entledigten sich ihrer Schilde. Die freien Oberkörper der Frauen und Männer waren lediglich mit dunkler Kriegsbemalung versehen. Während sie sich aufeinander abgestimmt fortbewegten, erklang Marias Stimme zu „Asja“ in ihren typisch ätherischen Höhen. Ein Raunen ging durch die Menge, als „Krigsgaldr“ folgte. Mit Knochen, Trommeln, und metallischen Gegenständen wurden diverse Klanggeräusche erzeugt. Die engagierten Trommler schwangen nach wie vor ihre Arme weit in die Luft, um mit Leibeskräften den prägnanten Ton anzugeben. Kai Uwe und Christopher duellierten sich stimmlich, ehe der Song mit dem Schlag eines Stabes auf den Boden endete. Bei dem Stück „Tenet“ schwang die zarte Sängerin mit den kupferfarbenen Dreadlocks unaufhörlich eine Hornrassel. Auf den Oberkörpern der Krieger waren in Leuchtschrift einzelne Runenzeichen zu sehen. Zu ihrer Choreographie entstanden gleichmäßige Rhythmen, die mit hypnotisch anmutendem Gesang versehen waren.
Heiße Phase
Kai Uwe wandte sich in dem Titel „Traust” einer Kriegerin zu. Mit einem Seil fesselte er sie rücklings an ihren Speer, um ihr daraufhin mit einem Ruck die Schlinge am Hals zu verengen. Direkt fiel die junge Frau zu Boden. Doch Maria fasste sich ein Herz. Bestimmt ging sie auf die Gefallene zu, erweckte sie wieder zum Leben und dazu befreite sie die junge Kämpferin von ihrer Waffe, um sie freizugeben. Zu „Anoana” nahm der Fronter mit zwei Sängerinnen auf dem Boden Platz. Anmutig bewegten diese ihre Arme umher, während Maria auf einem Podest im Hintergrund sitzend ein altertümliches Streichinstrument bespielte. Auf einmal entzündete Kai Uwe eine Fackel. Während man sich zu „Elddansurin“ in Ekstase trommelte, schlug der Anführer seine Feuerquelle auf einem Schild im Takt. Im Publikum kam nun ordentlich Bewegung auf. Bei diesem Spektakel konnte man wahrlich nicht stillstehen. Auch auf der Bühne wurden passionierte Tänze aufgeführt. Hymnischer weiblicher Gesang setzte ein. Mit zwei in Flammen stehenden Geweihen zog uns eine Tänzerin mit ihren sinnlichen Bewegungen in ihren Bann.
Berauschendes Finale
Das wilde Stück „Hamer Hippyer“ verwandelte die Bühne in eine große Tanzfläche. Losgelöst setzte sich das gesamte Kollektiv in Bewegung. Die Stimmung war auf dem absoluten Höhepunkt. Unweigerlich übertrug sich das euphorisierte Miteinander auch auf die Gemüter im Publikum. Auf und vor der Bühne tanzte man sich in einen Rausch. Strahlende Gesichter waren die Folge und ein tosender Applaus war Heilung sicher. Mit einer Abschiedszeremonie verabschiedete sich die dänisch-deutsch-norwegische Band von ihren Fans im Kölner Palladium. Wie zu Beginn, entzündete Kai Uwe in einer Schale seinen Weihrauch. Diesmal bildeten alle auf der Bühne jedoch einen Kreis und der Sänger fächerte nicht nur dem Publikum den starken Duft zu, sondern auch der gesamten Band. Ehrfürchtig und glücklich zugleich verneigte sich das Kollektiv voreinander sowie vor der begeisterten Menge. Damit war das große Ritual des Abends beschlossen.
Nebenwirkungen?
Bräuche und Traditionen geraten dank einer Band wie Heilung nicht in Vergessenheit. Gekonnt weckten sie dazu das nötige Bewusstsein, aber auch das Interesse für eine längst vergangene Zeit. Wirkte das Spektakel dieser besonderen Dimension noch nach? Aber ja. Zunächst mussten sich all die ungewohnten Eindrücke legen. Doch dann setzte eine wahrhaft angenehme Entspannung ein. Obgleich auf der Bühne so viel passierte, war man in diesen gut zwei Stunden auch durchaus bei sich selbst. Durch die regelmäßigen Rhythmen und den Mantra-artigen Gesang stellte sich eine innere Zufriedenheit ein, die einen nachwirkend nachdenklich und glücklich zugleich stimmte. Und was gibt es Schöneres, als dem fordernden Alltag auf diese magische Art und Weise zu entfliehen?
Setlist ZEAL & ARDOR:
„The Bird, the Lion and the Wildkid“ • „Götterdämmerung“ • „Ship on Fire” • „Tuskegee“ • „Blood in the River“ • „Kilonova“ • „To My Ilk“ • „Death to the Holy“ • „Sugarcoat“ • „Devil Is Fine“ • „I Caught You“ • „Clawing Out“
Setlist HEILUNG:
„Opening Ceremony“ • „In Maidjan“ • „Alfadhirhaiti“ • „Asja“ • „Krigsgaldr“ • „Hakkerskaldyr“ • „Svanrand“ • „Tenet“ • „Traust“ • „Anoana“ • „Galgaldr“ • „Elddansurin“ • „Hamer Hippyer“ • „Closing Ceremony“
Text: Nadine Kloppert
Photos: Michael Gamon
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