So war es beim KIELECTRIC FESTIVAL 2025 mit FROZEN PLASMA, [:SITD:] u.v.m.

19. April 2025, Kieler Pumpe
Mit Fractiles, Massiv in Mensch, Beyond Obsession, [:SITD:], Frozen Plasma
Stromschläge für die schwarze elektrische Seele
Ist der hohe Norden sonst eher für steife Brisen und maritime Gelassenheit bekannt, wo es nach viel Seeluft und noch mehr Fischbrötchen riecht, dann war davon am Ostersamstag in Kiel wenig zu spüren. Statt Möwengeschrei und Hafenromantik gab es beim mittlerweile 3. Kielectric Festival 2025 in der Kieler Pumpe elektronische Wellen, pulsierende Beats und eine Szene, die wie ein schwarzer Magnet alle Nachtschwärmer zwischen Nord- und Ostsee auf eine elektro-getränkte Pilgerfahrt durch die düsteren Klangwelten der Szene anzog. In insgesamt fünf Kapiteln ging es durch die gesamte Bandbreite elektronischer Leidenschaft und wir waren dabei.
Kapitel 1 – Ein roher Antritt
Schon beim Opener war klar: Fractiles kamen nicht, um aufzuwärmen. Sie servierten einen spannenden Mix aus EBM und düsterem Synthwave, mit Ecken, Kanten und ordentlich Schub. Der Bass drückte, die Vocals schnitten, und die ersten Reihen wippten schon mehr als nur mit dem Fuß. Fractiles bewiesen an diesem Abend, dass sie mehr sind als eine aufstrebende Band – sie sind eine Wucht, ein Versprechen auf mehr: mehr Härte, mehr Intensität, mehr Urgewalt. Sie haben zwar in dieser Formation erst fünf Singles veröffentlicht – und sind trotzdem schon weit vom Geheimtipp entfernt. Kein Wunder, wenn hinter den Reglern Vasi Vallis (Frozen Plasma, Reaper) und Christoph Schauer (Morphose) stehen, zwei Ikonen der dunklen Elektronik. Da weiß man schon jetzt: Das Beste kommt erst noch.
Kapitel 2 – Maschinenherz schlägt weiter
Wenn man aus der norddeutschen Küste Druck aufbaut, dann klingt das nach Massiv in Mensch. Die Friesischen EBM-Veteranen zeigten einmal mehr, wie kompromisslos, energetisch und zugleich verspielt elektronische Musik sein kann. Hier stand eine Band auf der Bühne, die seit über zwei Jahrzehnten kein bisschen Staub angesetzt hat – sondern eher klingt wie frisch geölt und auf Hochtouren kalibriert.
Bereits mit den ersten Takten machten Massiv in Mensch klar, dass es nicht um Nostalgie ging, sondern vielmehr darum, dass gelebt, getanzt und geschwitzt wurde – dabei immer mit einem Augenzwinkern im Sound und viel Ironie in den Texten. Leider musste Sängerin Rana Arborea krankheitsbedingt passen – doch wer glaubte, das würde dem Set von Massiv in Mensch den Wind aus den Segeln nehmen, hatte die Rechnung ohne die Energie der Band gemacht. Zur Hälfte des Gigs dann der Gänsehaut-Moment: Rouven Walterowicz von Endanger stürmte als Überraschungsgast die Bühne. Wie eine elektrisches Adrenalin-Infusion direkt in die Venen des Sets brachte er eine zusätzliche Dosis Wahnsinn und Wucht – und katapultierte die Stimmung in der Pumpe endgültig in den roten Bereich. Die Menge tobte, der Schweiß tropfte und der Dancefloor glühte wie ein Schaltkreis kurz vorm Kurzschluss.
Kapitel 3 – Ein bittersüßer Herzschlag
Mitten im elektronischen Sturm des Kielectric Festivals legten Beyond Obsession einen Stopp ein, der sich anfühlte wie ein flüsternder Tropfen Tinte in einem Meer aus Neonlicht. Plötzlich klang alles sanfter: Sänger Nils Upahl entfaltete bittersüße Melodien und nahm die Menge mit auf eine melancholisch glitzernde Reise. Doch während die Beats pulsierten, lag ein bittersüßer Schleier über der Menge – eine spürbare Leere, die alle verband. Die Szene trauerte um André Wylar, das Gründungsmitglied, dessen Geist und Energie noch immer in jedem Akkord nachhallten. Mit ruhiger Stimme erzählte Nils, wie Beyond Obsession einst durch die Freundschaft mit André zusammenfanden – und was dieser Verlust für ihn persönlich bedeute. In diesem Moment war André nicht nur ein fehlender Musiker, sondern lebendige Geschichte, eingeschrieben in jedem Ton und in jedes Herz, das ihn kannte.
Beyond Obsession schafften die Gratwanderung zwischen Herzblut und Tanzboden-Magie und haben in der Pumpe Tore aufgestoßen zu unseren tiefsten Gefühlen und uns kräftig dazu eingeladen, sie auszuleben. Selten war Schmerz so tanzbar.
Kapitel 4 – Maschinenherz on Fire
Dann: [:SITD:] – Ein Name, vier Buchstaben – und ein Sound, der mit Kaltschnäuzigkeit so präzise zündet wie ein perfekt kalibrierter Synthesizer. Die Ruhrpott-Elektromacht schaltete sofort in den Angriffsmodus und ab dem ersten Schlag wirkte die Pumpe wie eine perfide Versuchsanlage, in der jeder Beat unser Nervensystem testete. Tracks wie das neuere „Brieselang“ oder Klassiker wie „Rot“, „Kreuzgang“, „Richtfest“ oder „Snuff Machinery“ schlugen wie digitale Gewitter ein und rissen die Masse in einen hypnotischen Ausnahmezustand. Die Beats waren präzise wie Laser, die Atmosphäre dicht wie Nebel in einer Industrieruine und jeder Loop wirkte wie ein Taktgeber für die Zukunft. Wer EBM sagt, muss auch [:SITD:] sagen – das wurde an diesem Abend wieder klar. Die Menge tanzte im Takt, als würde sie eine gemeinsame Welle reiten. Es fühlte sich an, als würde eine Stimme direkt in Deine Gedanken flüstern: „Beweg dich!“
Kapitel 5 – Der glitzernde Schlussakkord
Den krönenden Abschluss kurz vor Mitternacht lieferte kein Geringerer als Frozen Plasma. Vasi Vallis und Felix Marc zündeten ein wahres Synthpop-Feuerwerk und holten mit Songs wie „Foolish Dreams“, „Gefühlsmaschine“, „Earthling“, „Warmongers“, oder dem unsterblichen „Tanz die Revolution“ noch mal alles raus, was an Energie im Raum verblieben war. „Amnesia“ im Duett mit Casi von [:SITD:] taten ein Übriges – das war Ekstase pur!
Vasi und Felix bewiesen einmal mehr, dass immer noch hungrige Visionäre sind, die jeden Saal zum Kochen bringen. Ihr Set war eine raue Elegie aus Licht und Klang – kälter als der Kieler Wind, aber heißer als jede Sommernacht. Mit strobo-getränkten Refrains und melancholischen Momenten gelang Frozen Plasma das Kunststück, das Festival nicht nur musikalisch, sondern auch emotional rund zu machen. Es war dieser bittersüße Abschiedston, der in der Luft lag, als mit roten Luftballons in Herzform uns die letzten Takte von „Murderous Trap“ in die Nacht entließen.
Fazit
Das Kielectric Festival 2025 hat eindrucksvoll bewiesen, dass auch im hohen Norden der schwarze Puls kraftvoll schlägt. Fünf Bands, fünf beinahe unterschiedliche Sound-Universen – und eine Szene, die lebt, liebt, tanzt und niemals stillsteht. Die Kieler Pumpe war an diesem Abend ein brodelnder Schmelztiegel aus Schweiß, Bass und Gemeinschaft. Es war ein schwarz-elektrisches Bekenntnis … auf ein Kielectric 2026!
Text & Photos: Thomas Friedel Fuhrmann

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