Live erlebt: KoЯn

19. August 2024, Bonn, Kunst!Rasen

Bereits seit 2012 verwandelt sich die Bonner Rheinaue im Sommer zum größten Open-Air-Gelände Bonns. Woche für Woche finden hier hochkarätige Konzerte statt. Diesmal stand den Besuchern ein weiteres Highlight bevor, gastierten doch die Nu-Metal Pioniere von KoЯn in der beliebten Stadt am Rhein. Mit 10.000 Besuchern war das Konzert restlos ausverkauft. Die ersten Fans waren bereits am Vormittag vor Ort, um sich später die besten Plätze direkt vor der Bühne sichern zu können.

Bewusste Kontraste

Bereits um 16:30 Uhr ging der Einlass vonstatten und das richtig zügig. Nunmehr hatte man noch gute zwei Stunden Zeit, auf dem Gelände zu verweilen, sich für den bevorstehenden Abend zu stärken und neue Bekanntschaften zu schließen. Als Special-Guest erwarteten uns die Kanadier von Spiritbox. Mitsamt ihrer Frontfrau Courtney LaPlante gehört die Band aktuell zu den aufstrebenden modernen Metal-Acts. Ganz ruhig betrat die Sängerin die ca. drei Meter hohe Bühne und schritt an ihren Mikroständer heran. Passend zum Hintergrund auf der Leinwand war ihr dunkles Haar mit lilafarbenen Partien abgesetzt. Neben bretthartem Sound und tiefen Growls hatten die Kanadier aber auch melodische Klänge mit glasklarem Gesang zu bieten. Während sich Courtney grazil bewegte und dem Publikum ihr zuckersüßes Lächeln oder auch mal einen Luftkuss zuwarf, hatte Gitarrist Mike Stringer passend zu seinen Riffs einen bitterbösen Gesichtsausdruck inne.

Gegen den Strom

Immer wieder kamen Courtney und ihre Mannen nah an den Bühnenrand, munter wechselten sie auch ihre Positionen auf der Bühne und nutzen die Fläche aus. Neben dem Ohrenschmeichler „Jaded“ stachen besonders der hitverdächtige Titel „Circle with Me“ und der wuchtige Track „Holy Roller“ hervor. Beim Publikum kam das Quartett bereits gut an. „I see you guys and I appreciate this.“ Weitere Bonuspunkte sammelte die Kanadierin, als sie erzählte, dass so viele Leute in der Metal-Szene der Menge gerne ansagen, was man zu tun habe. Sie setzte stattdessen auf das Kontrastprogramm „Do whatever the fuck you want!“ Brian „Head“ Welch von KoЯn ließ es sich übrigens nicht nehmen, den Auftritt ihrer Special-Guests seitlich am Bühnenrand zu beobachten – welch eine Ehre! Courtney bedankte sich inständig bei KoЯn und der gesamten Crew für die gemeinsame Zeit. An diesem Abend stand schließlich der Abschluss der Tour an. Mit „Hysteria“ verabschiedeten sich Spiritbox nach ihrer 45-minütigen, kurzweiligen Spielzeit. Tiefdunkle, tonnenschwere Riffs wurden final nochmal von vernichtenden Growls begleitet. Na, das war doch ein gelungener Start in den Abend.

Mitreißender Auftakt

Nach dem Bühnenumbau wurde um 20:00 Uhr der einzigartige biomechanische Mikrofonständer in Form einer exotischen Frau enthüllt, den H.R. Giger einst für Jonathan Davis designt hat. An der Decke war im vorderen Bereich auf Höhe des Bühnenrandes eine weitere riesige LED-Wand angebracht. Somit stand uns ein besonderes visuelles Spektakel bevor. Zu dem Einspieler „4U“ prangte der Schriftzug von KoЯn auf eben dieser Leinwand und damit war der Reigen eröffnet. Zusammen mit seinen Bandkollegen enterte der legendäre Frontmann im grünen mit Pailletten bestickten Adidas-Anzug die Bühne. Als der Opener „Rotting in Vain“ erklang, gab es in der Menge kein Halten mehr. Völlig euphorisiert drängte die Masse nach vorn. Wie ein Wirbelsturm rissen die Fans im vorderen Bereich jeden, der sich einfach nur das Konzert ansehen wollte, einfach mit. Drummer Ray Luzier hatte richtig Bock und wirbelte gleich zu Beginn strahlend einen Drumstick hoch in die Luft, ehe er diesen wieder gekonnt in sein Schlagzeugspiel integrierte.  

Etablierter Strahlemann

Rund um die Bühne wurden uns den gesamten Gig über passend zur Lightshow animierte Videos in wechselnden Farben serviert. Das sah wirklich imposant aus. Die klangliche Entfaltung von Wut und Resignation beim Track „Here to Stay“ heizte dem Hexenkessel noch mehr ein. Dazu erhoben sich die lautstarken Stimmen der engagierten Menge. Erste Bierduschen kühlten die überhitzen Gemüter ab. Auch Jonathan entledigte sich seiner Jacke und schritt fortan im schwarzen Tanktop singend über die Bühne. Während die Gitarristen Brian „Head“ Welch und Munky ihre Plätze erstmal nicht verließen, Song für Song ihren Saiteninstrumenten virtuose Klänge entlockten und sie dazu engagiert ihre Schöpfe schwangen, merkte man Bassist Ra Diaz an, dass er erst seit wenigen Jahren gemeinsam mit den Jungs auf der Bühne steht. Mit ungebremstem Elan, einer unsagbaren Spielfreude und seinem Honigkuchenpferdlachen war er nicht nur überall zu sehen, sein Bühnenrausch wirkte auch äußerst ansteckend. Seit der Auszeit von Fieldy hat sich der engagierte Bassist seinen Platz in der Band mehr als verdient. 

Wilde Eskalation

„I love you, Jonathaaaaan!“, schrie ein Fan in Richtung Bühne. Obgleich das aktuelle Album von KoЯn erfolgreich war und mit Lobeshymnen überschüttet wurde, hat es gerade mal ein Song daraus auf die Setlist geschafft: „Start the Healing“. Bedrohliche Shouts wechselten sich mit melodischem, gar lieblichem Gesang ab, um dann im Sprechgesang bedrückend und böse zu wirken. Genauso abgedreht wie „Good God“ gab sich auch die Menge. Während einen Fremde anbouncten, umarmten und in ein Gespräch verwickelten, setzte sich die Schar der Crowdsurfer in Gang. Vorn war man also gut beschäftigt – zwischenzeitlich bekam man kaum noch mit, was auf der Bühne passierte.

Beglückende Zeitreise

Zu meiner Erleichterung folgte ein ausladendes Drumsolo von Ray. Er allein stand nun im Fokus. Alle anderen verließen kurzzeitig die Bühne. Zu Stroboeffekten und blauem Licht tobte sich der Schlagzeuger richtig aus und der eigene Spaß stand ihm dabei deutlich ins Gesicht geschrieben. „Are you readyyyyyyy?!“ Zu den berühmten Riffs des Klassikers „Blind“ wurde friedlich geheadbangt. Ein absolutes Highlight folgte mit „Got the Life“. Die komplette Bühne erstrahlte in orangeroten, warmen Farbtönen. Mittendrin brannten alle Musiker für diesen Song. Jonathan sang gefühlt um sein Leben und in der Menge hüpften wir alle selig umher und sangen glücklich mit. Gefühlt waren wir in diesen Augenblicken alle wieder Sweet Sixteen. Mittlerweile tauchten auch Brian und Munky auf, und kamen auch mal ganz nach vorn. Ins Publikum wurde auch mal gewunken.

Karma wird es richten

Bei dem Song „Falling Away from Me“ landete plötzlich ein Plektrum zwischen uns auf dem Boden. Beherzt griffen manche der rigorosen Fans einfach wahllos in den Matsch hinein. Und wir sangen „Beating me down. Beating me, beating me down, down. Into the ground.“ Das Plektrum tauchte übrigens erst bedeutend später wieder auf. Und zwar direkt hinter mir. Eine richtig nette Frau hatte es gefunden. Jonathan richtete das Wort an uns: „How are you feeling tonight? I said, how the fuck are you feeeeling? This year we celebrated thirty years with this band. It’s amazing. We wanna thank you. So, you wanna keep this party rolling? Let’s take the middle finger up! One, two, three – fuck that!” „Y’All Want a Single” sorgte für ein Gemeinschaftsgefühl. Beim Refrain des aufgebrachten Songs erhoben Band und Fans immer wieder gemeinsam den bösen Finger, um innerlich schmunzelnd den Widerstand zu zelebrieren.

Geballte Intensität

Nach gerade mal einer Stunde endete plötzlich und unerwartet der offizielle Teil des Sets. Zugabe-Rufe breiteten sich aus, doch dann wurde es gar romantisch. Unendlich viele Handylichter erleuchteten und erzeugten eine warme Atmosphäre. Jonathan kehrte auf die Bühne zurück – während er seinen edlen Dudelsack bespielte, kam er ganz nah an den Bühnenrand. Allmählich setzten die restlichen Instrumente auch wieder ein. Ein Snippet von Metallicas Megahit „One“ sorgte während „Shoots and Ladders“ für eine freudige Überraschung. Ohrenbetäubend laut wurden die Fans, als der Closer „Freak on a Leash“ anstand. Noch einmal sprangen alle mit erhobenen Armen euphorisiert umher. Auch auf der Bühne wurden jegliche Energiereserven nochmal angezapft und die Musiker verausgabten sich ungebremst. Jonathan strahlte: „Thank you so fucking much. You were an incredible crowd.” Zum Tourabschluss holten KoЯn ihre gesamte Crew und auch Spiritbox auf die Bühne, um zusammen mit uns ein gemeinsames Erinnerungsfoto zu schießen. Munkys Sohn warf zusammen mit seinem Papa zahlreiche Plektren in die Menge. Auch Ray, Brian und Ra Diaz schmissen Gimmicks nach vorn. Zum Abschluss trennte sich Strahlemann Ra Diaz gar von seiner roten Cappy. Das waren 85 höchst intensive Minuten. KoЯn haben auch nach 30 Jahren kein bisschen ihrer immensen Wucht verloren. Die Arbeiten an ihrem nächsten Album haben auch bereits begonnen. So kann es weitergehen!

Setlist SPIRITBOX:
„Cellar Door“ • „Jaded“ • „Angel Eyes” • „The Void“ • „Rule of Nines“ • „Blessed Be“ • „Secret Garden“ • „Circle With Me“ • „Holy Roller“ • „Hysteria“

Setlist KoЯn :
„Rotting in Vain“ • „Here to Stay“ • „A.D.I.D.A.S.“ • „Clown“ • „Start the Healing“ • „Good God“ •  „Blind“ • „Got the Life“ • „Falling Away From Me“ • „Coming Undone“ • „Somebody Someone“ • „Y’All Want a Single“••• „Shoots and Ladders“ • „Twist“ • „Divine“ •  „Freak on a Leash”

Text: Nadine Kloppert
Photos: Michael Gamon