So klingt das neue Album von MARILYN MANSON

MARILYN MANSON
„One Assassination Under God – Chapter 1“

Schützende Obhut der Isolation

Die Welt um uns herum wird dunkel! Immer weniger lässt sich der dunkle Schleier, der sich über unsere Gesellschaft sowie die wirtschaftliche und politische Situation der Welt legt, ignorieren. Viele Menschen zieht es daher in eine augenscheinlich schützende Obhut der Isolation. Einsamkeit und Hass herrschen vor. Anschuldigungen und Hetze sind zu etwas Alltäglichem geworden. Auch Altmeister und Kult-Schock-Rocker Marilyn Manson ist sich dieser Stimmung bewusst. Natürlich kann man in den Texten der Songs auf seinem aktuellen zwölften Album sehr viele Bezüge auf die kürzlichen Anschuldigungen, den Prozess und die Skandale der Vergangenheit finden, wenn man danach sucht. Aber die Kernthematik auf „One Assassination Under God – Chapter 1“ ist und bleibt weiterhin die eigene Seelenwelt des Künstlers. Dass dieses Seelenheil ungemein unter dem Einfluss dieser vergangenen Geschehnisse und auch dem noch andauernden Gerichtsverfahren gegen Manson leidet, steht außer Frage. Lyrisch ist das Album durchzogen von Wut, Selbsthass und -reflektion und Trauer. Wie gewohnt lassen die Texte viel Raum für Interpretation. Ob das Album nun tatsächlich Mansons eigener Prozess mit ihm selbst ist, dürfte man spätestens nach der Veröffentlichung von „Chapter 2“ in Erfahrung bringen.

Ausflüge in alte Zeiten

Soundtechnisch hat das Album viel Abwechslung zu bieten und stellt stellenweise eine Reise zurück in die Frühwerke Mansons dar. Co-Produzent Tyler Bates versteht es genau, Marilyns Stimmung und Lyrics den richtigen Soundtrack zu verpassen. Der Titeltrack, die schleppende Doom-Nummer „One Assassination Under God“, enthält musikalisch viele Verweise auf die „Holy Wood“-Ära, klingt dennoch innovativ und frisch. Sowohl bei diesem, als auch beim nächsten Song „No Funeral without Applause“ hält sich Manson eher in den tiefen Tonlagen auf, was dem Gesamtkonzept aber sehr dienlich scheint. „Nod If You Understand“ erinnert an Nummern wie „Irresponsible Hate Anthem“, kommt aber an die manische Aggressivität der „Antichrist Superstar“-Phase nicht ran. Die erste Singleauskopplung „As Sick As the Secrets Within“ und das Siebzigerjahre-lastige „Sacriligious“ beenden die erste Hälfte des Albums. Ab dann macht sich eine leichte Monotonie in den Stücken bemerkbar, die entweder Marilyn Mansons tiefen Gesangslinien oder der Tatsache geschuldet ist, dass das Album in zwei Kapitel aufgeteilt wurde. „Death Is Not a Costume“, „Meet Me in Purgatory“ und – ebenfalls zuvor veröffentlicht – „Raise the Red Flag“ tröpfeln als softe, aber eingängige Goth-Rock-Stücke daher, laufen aber leider auch in Gefahr, wieder schnell in Vergessenheit zu geraten. Das Schlusslicht macht das theatralische „Sacrifice of the Mass“. Von Akustikgitarren-Parts am Anfang baut sich das Lied immer weiter auf, bis das Album – oder das Ende von „Chapter 1“ – mit einem rockigen Gitarrensolo einen würdigen Ausklang erhält.

Mit angezogener Handbremse?

Ob man (oder ob sich) Marilyn Manson wirklich einen Gefallen damit getan hat, „One Assasination Under God“ in zwei Teile aufzuteilen, wird man erst erkennen können, wenn sich dieselbe Struktur und gelegentliche Monotonie auch durch „Chapter 2“ ziehen sollte. Teilweise könnte man meinen, hier einen Marilyn Manson zu hören, der mit angezogener Handbremse fährt. Konzeptionell lässt sich kein roter Faden erkennen, den es zu verfolgen gibt. Die Stücke stehen alle gut für sich alleine. Das Album ist rund, sehr gut und zeitgemäß produziert. Schock und Provokation findet man hier wenig. Manson – und womöglich auch sein neues Label Nuclear Blast – gehen mit diesem Album auf Nummer sicher. Schlecht ist das aber nicht! Die Texte sind gewohnt philosophisch, die Songs eingängig und gut arrangiert. Manson scheint auf „One Assasination Under God – Chapter 1“ so klar und nüchtern, wie lange nicht mehr – oder wie noch nie. Das mag vielleicht nicht jedem gefallen, bringt aber definitiv eine gelungene Abwechslung in das Schaffen des Künstlers. Bleibt nun abzuwarten, was er seinen Fans auf „Chapter 2“ präsentiert.

Sam Oeder

Photo: Perou

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