MYRNA LOY im Interview (2/2)

„… wie ein überdrehter Rasenmäher, der außer Kontrolle geraten ist.“
2 Fakten:
• 1989 platzierten sich Myrna Loy als einzige deutsche Band neben Jingo de Lunch und den Einstürzenden Neubauten in die SPEX/WOM-Jahresverkaufscharts
• „Wir wollten einen Bandnamen, der uns nicht direkt in ein bestimmtes musikalisches Genre steckt. Was auch ein Stück weit zu unserer Strategie passte, uns in kein Raster pressen zu lassen …“, erklärte uns Victor D. zum digitalen Release des Debütalbums Anfang des Jahres.
In unserem zweiten Interview-Teil sprechen wir mit Victor über Herausforderungen, und nehmen einige der Songs des zweiten Albums „Time Says Helay“, das nun erstmals digital erhältlich ist, unter die Lupe. Den ersten Teil verpasst? Kein Problem, du kannst ihn hier nachlesen.
Herausfordernd
O: Gab es besondere Herausforderungen während den Arbeiten an dem Album?
VD: Nein, es war die beste Zeit von Myrna Loy. Wir haben uns voll auf die Musik konzentriert und das hört man auch auf dem Album und den Konzerten, die wir 1990/91 gegeben haben. Aus heutiger Sicht hätte ich andere Songs für das Album ausgesucht. „La Beija“ zum Beispiel würde ich heute definitiv als Teil des zweiten Albums sehen.
Sinn für Geruch?
O: Das Album beginnt mit „Hello, I Love the Way You Smell“. Den Song habe ich als sphärisch, aber irgendwie auch tragisch empfunden, obwohl ich das gar nicht so genau erklären kann. Kannst du nachvollziehen, was ich meine? Wie geht es dir, wenn du das Stück heute hörst und wie entstand es damals?
VD: Interessant, dass du dies fragst, weil es wirklich etwas Tragisches hat. Der Titel dieses Songs ist unmittelbar aus der Beobachtung meines engsten Umfeldes entstanden. Ich habe damals mit einem guten Freund in einer WG zusammen gewohnt. Dieser Freund hatte permanent nicht reziproke Freundschaften mit anderen Frauen und litt teilweise sehr darunter. Ich habe mich immer gefragt, wie hält man dies auf Dauer aus und was ist der Grund, jedes Mal den gleichen Fehler zu begehen. Der Titel des Songs war dann meine etwas sarkastische, vielleicht sogar zynische Herleitung des Grundes.
Mesmerisierend
O: Aus dem Album wurde die Single „Corilo“ ausgesucht. Der Song hat etwas sehr Mesmerisierendes, Packendes. Wie ist er damals entstanden?
VD: Das ist eine gute Frage. Ich selbst kann mich speziell an den Entstehungsprozess nicht mehr genau erinnern. Ich kann mich aber gut daran erinnern, dass er auf Anhieb viele Leute angesprochen hat, vor allem Eduard und Stefan, die beiden maßgeblichen Personen unseres damaligen Labels Normal.
Offene Türen?
O: Auch zu hören gab es bereits die intensive Live-Version von „Myrna Opens the Doors“. Gibt es eine Geschichte dazu?
VD: „Myrna Doors“ entstand, nachdem wir uns über The Doors unterhalten haben, eine Band, die wir alle mochten. Es gab vorher schon mal zwei, drei Songs, die stark von „The End“ inspiriert waren, es aber nie auf ein Album geschafft haben. Unser Schlagzeuger hatte bei „Myrna Doors“ einen seiner besten Momente – überhaupt ist es einer der organischsten Songs von uns. Die Live-Version war immer besser als die auf dem Album. Während der Aufnahmen im Studio kam es ja zur endgültigen Trennung von unserem Schlagzeuger. Wir mussten dann leider viel programmieren.
Überdrehter Rasenmäher?
O: Ein weiterer Song, der mich sehr begeistert hat, war „Lustine“. Was hat es mit diesem Lied auf sich?
VD: Den genauen Entstehungsprozess habe ich nicht mehr im Kopf. Bei diesem Song spielte aber das „hysterische“ Gitarrensolo die größte Rolle. Das hysterische Element des Gitarrensolos mag ich heute noch. Auf der Bühne war die Gitarre wie ein überdrehter Rasenmäher, der außer Kontrolle geraten ist.
Lieblings …
O: Bei eigenen Songs ist das sicher quasi ein Ding der Unmöglichkeit … aber hast du selbst persönliche Favoriten des Albums?
VD: Ja: Ich habe eine sehr enge Beziehung zu dem Song „ROT“. Er ist für mich eigentlich schon so eine Art Filmmusik. Der Song würde auch perfekt zu einem meiner Lieblingsfilmen passen: „Blade Runner I“. Der Track ist in mehreren Etappen entstanden, erst im Proberaum mit Gesang, Synthie und Gitarre, dann kamen die Geigen hinzu und zuletzt hat ein befreundeter Pianist, der neue Musik studierte, die Klavier-Sequenz komplett live in einem Take eingespielt. Der Mix im Studio war allerdings wirklich eine Herausforderung, da mehrere Spuren unseres 8-Spur-Geräts genutzt werden mussten. Das ist auch der einzige Song, den wir nie live gespielt haben.
Auf der Suche nach verwendbaren Live-Versionen habe ich mit Alex, dem Keyboarder, zusammen eine „Decamerone“-Version entdeckt, die ich völlig vergessen hatte („Decamerone-Chanson“). Diese Live-Version finde ich im Nachhinein sehr gelungen, weil sie über fast sieben Minuten nie langweilig wird und ein großes Spektrum an musikalischen Einflüssen wiedergibt, aber insgesamt sehr organisch wirkt.
Übrigens, der Song, der mit Abstand bei fast jedem Publikum am besten angekommen ist, war von Anfang an „Lebetor“. Den mussten wir eigentlich auch fast immer spielen, am Ende meistens als Zugabe.
Zukunftsmusik
O: Wie sehen die weiteren Zukunftspläne von Myrna Loy aus? Ist auch geplant, das dritte Album in erweiterter, remasterter Version online verfügbar zu machen?
VD: Ja, die Veröffentlichung des dritten Albums soll auch noch dieses Jahr über Lost Albums erfolgen und wir werden uns in dieser Woche zum ersten Mal nach fast 30 Jahren alle zusammen treffen. Mal sehen, was noch geht.
Claudia Zinn-Zinnenburg
Line-up:
Victor D. – Gesang
Mikele – Gitarre
Cord D. – Bass
Alex – Keybords, Sampler
Lothar Loy – Schlagzeug
Höre „Time Says Helay“:
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