MYRNA LOY im Interview (1/2): „… dass dich die Musik wie ein Kuss von innen treffen kann.“

Vor 35 Jahren veröffentlichten Myrna Loy ihr Debütalbum „I Press My Lips in Your Inner Temple“. Nun zieht es mit seiner erweiterten, remasterten Version auch in die digitale Welt ein. Nachdem es jahrzehntelang still um die Band war, die sich in keine Genregrenzen pressen lässt – aber irgendwo zwischen (Dark) Wave, Ambient und poppigem Rock anzusiedeln ist –, führen wir nun ein exklusives Interview mit Sänger Victor. Im ersten Teil wagen wir eine Reise ins Innere.
Wie alles begann …
Orkus: Fangen wir doch am Anfang an. Wie kam es denn überhaupt zum Wunsch oder dem Bedürfnis, Myrna Loy zu gründen?
Victor D: Wir waren alle musikbegeistert und hatten vor, die rocklastige Musikszene in Bonn mit einem anderen Sound aufzumischen. Nach dem ersten Album wurden wir ambitionierter und wollten auch der deutschen Musikszene unseren Stempel aufdrücken.
O: Warum habt ihr euch für den Namen der mittlerweile verstorbenen Stummfilmschauspielerin entschieden?
VD: Zum einen gefiel uns der Name der Zwanzigerjahre-Ikone, zum anderen ließ der Name keinerlei Rückschlüsse auf die Musik zu. Wir wollten einen Bandnamen, der uns nicht direkt in ein bestimmtes musikalisches Genre steckt. Was auch ein Stück weit zu unserer Strategie passte, uns in kein Raster pressen zu lassen …
Zarter Kuss
O: Bleiben wir beim Thema „Namen“: Wie kam es zum Albumtitel „I Press My Lips in Your Inner Temple“?
VD: Die Überschrift/das Motto zum Album sollte ausdrücken, dass dich die Musik wie ein Kuss von innen treffen kann. „Sing Garden“ beschreibt zum Beispiel wie ein Mensch auf einer Bank sitzend, in einen meditativen Zustand gerät und am Ende im Regen, immer noch auf der Bank sitzend, sich seiner Rolle im Leben bewusst wird. Das ganze Album ist eine Reise ins Innere eines jeden.
Zeitlos
O: Euer Debütalbum feierte kürzlich sein 35-jähriges Jubiläum, und wurde aus diesem Anlass neu gemastert und erstmals digital herausgegeben. Wie hat es sich angefühlt, sich nach so langer Zeit wieder mit dem Erstling zu beschäftigen?
VD: Ich denke, unser Bassist Cord hat das gut auf den Punkt gebracht: „Myrna Loy ist im ewigen digitalen Gedächtnis der Menschheit angekommen, gespeichert für die Ewigkeit.“ Ein gewisser Stolz ist schon da, dass man nach so vielen Jahren noch eine Wertschätzung bekommt. Anscheinend haben wir da etwas Zeitloses geschaffen.
Kopfstimme
O: Eine Besonderheit ist dein unglaublicher Stimmumfang. Wann hast du den „entdeckt“ und wie ging es dann weiter? Erforderte das besondere Arbeit?
VD: Ich habe schon immer viel gesungen. Als kleines Kind schon, laut meiner Mutter. Als Jugendlicher im Kirchenchor und zu meiner Gitarre. Meine Kopfstimme habe ich allerdings wirklich erst im Proberaum entdeckt, als wir die Idee zu „Sing Garden“ hatten. Die Sequenz mit der Kopfstimme ist ganz spontan entstanden und „Sing Garden“ selbst ist an einem Abend kreiert worden. Inspiriert wurden viele Gesangsideen durch die bizarren Samples von unserem Keyboarder Alex und bestimmte Gitarrensounds von Mikele.
Entstehung
O: Wie können wir uns die Entstehung von „I Press My Lips in Your Inner Temple“ vorstellen?
VD: Im ersten Jahr unserer Band haben wir ca. 30 Titel kreiert und fast 80 % der Stücke wurden nach bestimmten Kriterien verworfen. Wobei ich im Nachhinein sagen muss, dass einige der Stücke, die nun als Live-Bonus.Track nachträglich veröffentlicht wurden, besser sind, als ich sie damals eingeschätzt hatte (zum Beispiel „Your Friend“). „I Press My Lips in Your Inner Temple“ sollte anfangs nur eine 4-Track-Maxi werden. Wir sind in ein Studio gegangen und haben die Stücke mit viel Zeit und Muße aufgenommen. Die Aufnahmen sind super, wurden aber nie veröffentlicht, da wir fast zeitgleich beim Ruhrrock-Festival gewonnen haben. Im Conny-Plank-Studio haben wir nochmal von vorne angefangen. Im Nachhinein würde ich sagen, es war ein Fehler, sie in großer Eile nochmals im Conny-Plank-Studio aufzunehmen, da die ursprünglichen Aufnahmen erheblich lebendiger waren und die Idee unserer Musik viel besser repräsentieren.
O: Wie seid ihr beim professionellen Aufnehmen vorgegangen? Und wie lange hat es gedauert, bis „I Press My Lips in Your Inner Temple“ im Kasten war?
VD: Es gab eine MIDI-Vorproduktion (alle elektronischen Spuren wurden schon auf Band aufgenommen) – Im Studio hatten wir nur fünf Tage Zeit um alles aufzunehmen und abzumischen. Die erste „Decamerone“-Version hat uns nicht gefallen. Wir konnten aber zum Glück Eduard (der Chef unserer Plattenfirma) überreden, uns einen weiteren Tag zu spendieren.
Opernhaft?
O: Apropos „Decamerone“: Gibt es hierzu eine Entstehungsgeschichte?
VD: Ein Stück aus der Frühphase. Die allererste Version ist sogar noch mit (echter) Klarinette. Ich wurde quasi überredet, eine Art Opernstimme zu singen, die mir eigentlich überhaupt nicht gefiel. Irgendwann habe ich nämlich mal erwähnt, dass ich früher im Kirchenchor gesungen habe. Da dies keiner glaubte, habe ich eine Kostprobe gegeben, und bei „Decamerone“ hat es dann auch gepasst. Ich habe mir anlässlich der neuen Veröffentlichung nochmals mit Alex sämtliche Versionen angehört und muss sagen, dass die besten Versionen von „Decamerone“ bislang nicht veröffentlicht wurden.
Bach vs. Wave und Pop?
O: Das große musikalische Spektrum von Myrna Loy fängt auch „Lebetor“ sehr gut ein. Weißt du noch, wie dieses Stück entstanden ist?
VD: „Lebetor“ ist inspiriert durch ein Johann-Sebastian-Bach-Praeludium mit seinen gegenläufigen Notenabfolgen (Fuge). Alex und ich waren im ersten Schritt zu zweit im Proberaum und haben eine Art Marsch programmiert und rumexperimentiert. Ich weiß allerdings bei diesem Stück noch genau, dass die Grundmelodie und das Grundthema in nur zwei Stunden entstanden sind und das Gerüst schnell stand. „Lebetor“ ist eine gelungene Mischung aus Wave und Pop und war auch live immer der eigentliche Hit.
Claudia Zinn-Zinnenburg
Im nächsten Teil geht es um gelebten Rock’n’Roll, Erinnerungen, die Gegenwart und Zukunft.
Line-up:
Victor D. – Gesang
Mikele – Gitarre
Cord D. – Bass
Alex – Keybords, Sampler
Lothar Loy – Schlagzeug
Höre „I Press My Lips in Your Inner Temple“ auf Spotify an. Eine Review kannst Du hier nachlesen.
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