So war es bei NINE INCH NAILS

20. Juni 2025, Köln, Lanxess Arena
Im Januar dieses Jahres verbreitete sich eine Nachricht wie ein Lauffeuer: Nine Inch Nails kündigten ihre „Peel It Back“-Welttournee an. Nachdem sie zuletzt 2022 live zu erleben waren, warteten die Fans hierzulande schon seit 2018 sehnsüchtig auf die Rückkehr ihrer absoluten Idole auf deutsche Bühnen. Unter den zahlreichen Terminen fanden sich auch zwei Deutschland-Konzerte – in Köln und Berlin sollten die Industrial-Rocker aus Los Angeles endlich wieder ihre intensive Live-Energie entfesseln. Dabei war die Erleichterung förmlich greifbar: Frontmann Trent Reznor hatte sich in den vergangenen Jahren als bedeutender – und Oscar-prämierter – Soundtrack-Komponist etabliert. Die Sorge war durchaus real, dass er der Konzertbühne dauerhaft den Rücken kehren könnte. Doch stattdessen kündigte er nicht nur diese Tour an – neue Musik sei gar in Arbeit. Die alte Liebe flammte wieder auf und trieb den Puls der Fans in ungeahnte Höhen.
Fanliebe, Vorfreude – und ein kleiner Wermutstropfen
Nun war der große Tag gekommen: Rund 16.000 Menschen strömten in die Kölner Lanxess Arena und tauchten das Geschehen in ein tiefes Schwarz. Die meisten trugen – kaum überraschend – Shirts ihrer Lieblingsband. Am Merchandise-Stand allerdings folgte der erste kleine Dämpfer der Euphorie: Aktuelle T-Shirts wurden für 55 €, Longsleeves für 105 € und Hoodies gar für stolze 120 € angeboten – Preise, über die vielfach gemurmelt wurde. Nicht alle wollten oder konnten da mitziehen. Und doch wechselten nicht wenige Exemplare den Besitzer. Rund um die Arena kündigten zahlreiche Trucks mit „Light & Sound“-Aufschrift bereits an, was sich drinnen abzeichnen sollte: Es würde groß. Sehr groß.
Rotes Licht und dichte Schwaden
Eine Stunde vor Konzertbeginn eröffnete Boys Noize (Alex Ridha) auf einer quadratischen Bühne im hinteren Teil der Arena den Abend. Zunächst hüllte ihn eine würfelförmige Nebelwand ein, durch die rotes Licht dramatisch auf ihn herabfiel. Pulsierende, düster-elektronische Klänge verwoben sich mit markanten Industrial-Einflüssen – eine musikalische Linie, die sich spürbar an den Soundkosmos von Nine Inch Nails anlehnte. Mit Tracks wie dem Elektropop-Klassiker „Are Friends Electric“ (im Kris Braha Remix) oder seiner Neuinterpretation von Fehlfarbens „Paul ist tot“ lockerte er die ersten Glieder auf.
„Right Where It Belongs“ – und nirgendwo anders
Mittig im Innenraum war von Beginn an eine weitere Bühne zu erahnen, umgeben von einem geheimnisvoll verhüllenden Tuch. Nahtlos und wie aus dem Nichts ging das DJ-Set in den Auftritt von Nine Inch Nails über – plötzlich fiel der Vorhang. Im Zentrum: Trent Reznor, ganz allein am Piano, im warmen Lichtkegel. Für einen Moment herrschte völlige Stille. Dann schlug er sanft die ersten Tasten an, und als seine Stimme gefühlvoll die Zeilen „See the animal in his cage that you built. Are you sure what side you’re on?“ durch die Arena trug, brach Jubel aus. Mit der Pianoversion von „Right Where It Belongs“ verschlug es einem den Atem. Jeder Ton, jede Nuance, selbst die leisesten Momente entfalteten volle Wirkung – denn das Publikum war vollkommen gebannt.
Was für ein Auftakt! Zu „Ruiner“ und „The Fragile“ gesellten sich fast schon behutsam Atticus Ross und Alessandro Cortini hinzu. Das Trio formierte sich in einem Dreieck, einander zugewandt, als zögen sie Kraft aus der gemeinsamen Stille. Erst allmählich setzte sich durch das Bassspiel eine würdevoll steigende Welle aus Druck in Bewegung. Der Name der Tour war an diesem Abend Programm: Gleich zu Beginn erklangen drei Stücke, die es zuletzt 2009 auf die Setlist geschafft hatten – vergessene Schätze, nun wieder ans Licht geholt: „Peel It Back“.
Der Sturm beginnt
Während sich die Drei durch die Menge hinweg ihren Weg zur Hauptbühne bahnten, setzte Ilan Rubin mit einem kraftvollen Drum-Intro zu „Eraser“ ein. Zunächst war er nur auf einer Videoprojektion zu sehen – auf einem weiteren Vorhang, der die große Bühne an drei Seiten verhüllte. Dann brach es los: Mit voller Wucht setzte „Wish“ ein – ein entfesselter Ausbruch aus Gitarrenriffs, Beats und Reznors gebrülltem „This is the first day of my last days“. Mit dem fallenden Vorhang wurde der Blick frei auf eine raffinierte Inszenierung: Über die gesamte Breite hingen durchscheinende Stoffbahnen herab, die die Bühne in mehrere Abschnitte gliederten. Auf ihnen erschienen überdimensionale Schwarz-Weiß-Livebilder der einzelnen Bandmitglieder, während man sie gleichzeitig auch direkt hinter dem Stoff agieren sah – ein geniales Spiel mit Nähe und Distanz, Projektion und Realität. Live entfaltete der Song seine ganze zerstörerische Kraft: eine wilde Mischung aus Punk-Aggression und kontrollierter Eskalation. Gemeinsam mit Trent Reznor setzte sich die Menge in Bewegung – ein kollektives Springen, ein Ausbruch purer Energie. Jetzt gab es kein Halten mehr. Der Song zog immer weiter an, fegte wie ein aufbrausendes Soundgewitter durch die Arena und riss alles mit sich.
Im Rausch des Soges
„Come on, dance!“ – energisch gab der Fronter den Ton vor. Genauso wild wie der rohe Sound von „March of the Pigs“ aus dem Jahr 1994 tobte auch die Menge. Gleißend helles Licht durchbrach die Dunkelheit der Arena und fachte die ohnehin angespannte Stimmung weiter an. Vor und auf der Bühne herrschte die pure Ekstase. „Reptile“ – ebenfalls vom markerschütternden Album „The Downward Spiral“ – sprühte im Anschluss vor düsterer Intensität und kriechender Bedrohlichkeit. Zu „Copy of A“ entledigte sich Reznor seiner Gitarre. Dann begann er sich im Radius seines Mikroständers mit ausladenden Bewegungen zu entfalten – als würde er eins mit dem elektronischen Strudel des Songs. Selbst auf den Rängen stießen Fans spitze Jubelschreie aus. Die Silhouette des Sängers – mit ausgebreiteten Armen im Gegenlicht – vervielfachte sich auf den Livebildern und verschmolz mit der Musik zu einem hypnotischen Bild aus Klang und Kontrollverlust.
Clubästhetik im Bann der Beats
Erneut wechselten Trent und Atticus die Bühne – diesmal mit Verstärkung: Boys Noize stieß hinzu, um den Tracks „Vessel“, „Only“ und „Come Back Haunted“ eine technoide Würze zu verleihen. Und der Plan ging voll auf. Nun dominierten Synths, die Regler wurden sichtbar in Bewegung gebracht – und mit jeder neuen Schicht heizte sich die Stimmung weiter auf. Der zuvor tobende Mob verwandelte sich in einen riesigen Dancefloor. Dunkle Beats legten sich wie ein pulsierender Teppich unter die Menge, eine regelrechte Nightclub-Atmosphäre entstand. Einzelne Sounds erinnerten dabei gar an die rohen, stampfenden Elemente aus „Holy Shit“ von Owl Vision. Das Trio wurde von raffinierten Lichteffekten und leichtem Nebel perfekt in Szene gesetzt – wie eine düstere, hypnotische Clubvision im Arenaformat.
Wellen aus Menschen, Klang und Chaos
Zurück auf der Main Stage: Mit „Somewhat Damaged“ entlud sich eine geballte Welle aus Wut und Energie. Die Stoffbahnen waren verschwunden, der Blick auf Nine Inch Nails nun völlig frei. Stattdessen prägten neue visuelle Elemente das Bild: Seitlich der Bühne erschienen Projektionen auf hohen weißen Vorhängen, während im Zentrum des Bühnenhintergrunds neun quadratische Lichtfelder wie leuchtende Raster die Szenerie durchdrangen. Ein dichter Nebelteppich legte sich über den Bühnenboden – als würde der Raum selbst atmen, kurz bevor der nächste Schlag kam. Und der ließ nicht lange auf sich warten: „Heresy“ entfaltete seine volle Wucht und schickte eine Druckwelle durch die Arena. In der Menge ging es turbulent zu – die Menge sprang, drängte und wogte in rhythmischen Wellen umher. Einzelne Crowdsurfer wurden vom kollektiven Strudel erfasst und direkt wieder vom bewegten Meer der Körper verschluckt.
Clubtrack für die Ewigkeit
„Closer“ durfte im Set nicht fehlen. Seit 31 Jahren gehört der Klassiker zum festen Inventar schwarzer Clubnächte – kaum ein anderer Song wurde seither häufiger gespielt. Weltweit hat er unzählige Tanzflächen erfüllt und Körper vollkommen losgelöst in Bewegung versetzt. Gerade deshalb hätte man sich an dieser Stelle etwas mehr Druck gewünscht. Aber irgendwie fehlte dem Song an diesem Abend das Gewisse etwas. Er kam überraschend zurückhaltend daher – atmosphärisch, aber leicht blasser und weniger faszinierend als der Rest des überwältigenden Sets.
Hommage an David Bowie – mit offener Seele und stetem Schmerz
Vor seiner Coverversion von David Bowies „I’m Afraid of Americans“ richtete Trent Reznor betreten das Wort an uns. „This next song kind of fucks me up a little bit.“ Es komme nicht oft vor, dass man jemanden treffe, der einen so sehr beeinflusst und geprägt habe. Er habe das Privileg gehabt, diesen Menschen nicht nur künstlerisch zu erleben, sondern ihn auch persönlich kennenzulernen – und dabei zu merken, dass er sogar noch cooler gewesen sei, als man dachte. David Bowie hatte Reznor in einer der dunkelsten Phasen seines Lebens die Hand gereicht – nicht nur musikalisch, sondern auch menschlich. In Interviews sprach Trent damals offen darüber, wie Bowie ihm geholfen habe, sich aus seiner Sucht zu befreien. Sein ehrvoller Gruß an seinen Mentor bewegte einen tief im Inneren – und dann preschten Nine Inch Nails los, als gäbe es kein Morgen. „I’m Afraid of Americans“ entfaltete auf der Bühne eine rohe, druckvolle Energie – härter, kantiger und noch verzweifelter als im Original. Die Beats hämmerten, Reznors Stimme schnitt sich förmlich durch den Raum, und die verzerrten Sounds legten sich wie eine metallische Schicht über die Arena. Der Song wirkte wie ein aufgestauter Schrei, der Schmerz war spürbar – wuchtig, bissig, unaufhaltsam. Ein kathartischer Ausbruch, der sich tief unter die Haut fraß.
Ein Hauch von Ewigkeit
„Head Like a Hole“ aus den Anfangstagen im Jahr 1989 brachte die Arena noch einmal zum Kochen – helles Licht durchflutete den Raum, Reznor riss die Arme in die Höhe und tausende folgten ihm wie ein einziger, bebender Körper. Der Song entfaltete live genau das, was ihn so zeitlos macht: rohe Energie, Widerstand, hymnische Wucht. Und dann – plötzlich Ruhe. Mit der zarten Begleitung einer Akustikgitarre leitete „Hurt“ den letzten Akt des Abends ein. Nach diesem gewaltigen Sturm schaffte es die Band mühelos, den Moment zu drehen – und berührte das Publikum ein letztes Mal tief im Inneren. Ein Meer aus Handytaschenlampen flackerte auf, und Wort für Wort setzten tausende Stimme beseelt mit ein. Als die Musik final ausklang, verschwand die Bühne erneut hinter dem schwarzen Vorhang – und auf ihm erschien das ikonische NIN-Logo, das sich in diesem Moment aufs Neue ins Herz brannte.
Berauscht von diesem Erlebnis tauchten auch des Nachts noch im Inneren immer wieder diese Zeilen auf: „If I could start again / A million miles away / I would keep myself / I would find a way.” Nine Inch Nails sind zurück – und nichts fühlt sich richtiger an!
Setlist NINE INCH NAILS:
„Right Where It Belongs“ • „Ruiner“ • „The Fragile“ • „Eraser “ • „Wish“ • „March of the Pigs” • „Reptile“ • „Copy of A“ • „Gave Up“ • „Vessel (Techno Remix)“ • „Only (Techno Remix)“ • „Came Back Haunted (Techno Remix)“ • „Somewhat Damaged“ • „Heresy“ • „Closer“ • „I’m Afraid of Americans“ • „Less Than“ • „Head Like a Hole“ • „Hurt“
Zwar nicht aus Köln, aber trotzdem voller Stimmung: Hier sind ein paar Eindrücke der Tour, die wir Dir nicht vorenthalten möchten.
Text: Nadine Kloppert
Photos: Edmund Fraser, John Crawford, Coen Rees
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