So war es beim NCN Festival (Teil 3/3)

NCN 3 Haupt

In den ersten beiden Teilen tauchten wir tief ein in das NCN Festival, das dieses Jahr sein 20-jähriges Jubiläum zelebrierte. Wir ließen wir den Freitag Revue passieren: Ein Auftakt voller Energie und kantiger Elektronik, mit Pseudokrupp Project, Placebo Effect und Prayers als Herzschläge des Abends. Nun wenden wir uns dem zweiten Spieltag zu. Und auch der Samstag war vollkommen: emotional, opulent, fast cineastisch – ROME, Suicide Commando, Kite, Men Without Hats. Und nun? – Das Finale!

Tag 3 – Sonntag, 07. September 2025

Wenn die Dunkelheit tanzt und die Zeit stillsteht

Der Sonntag in Deutzen hat seinen eigenen Puls. Alles wirkt weicher, vertrauter – aber auch schwerer. Man spürt: Drei Tage Musik, Begegnungen, Emotionen haben Spuren hinterlassen. Und doch ist da dieses Knistern in der Luft – das Wissen, dass noch einmal alles passieren kann. Hier ist der Sonntag der Abgesang, das Durchatmen nach der Ekstase, aber nicht leiser, nur bewusster.

Synthwave zum Sonnenaufgang
Promenade Cinema eröffnen den letzten Tag mit einem Sound, der klingt wie Neonlicht im Morgengrauen. Elegant, melancholisch, stilvoll. Emma Barson und Dorian Foy haben dieses rare Talent, Nostalgie neu klingen zu lassen. Ihre Songs schweben zwischen Achtzigerjahre-Romantik und moderner Kühle – perfekt, um langsam wieder in den Rhythmus zu finden.

Zwischen Melancholie und Moderne
Kurz darauf tritt Ruebi vor die Menge. Seine Songs sind Miniaturen aus Nähe und Distanz, getragen von leiser Dringlichkeit. Nichts an ihm will glänzen – und genau das leuchtet. Ein Auftritt, der bleibt, weil er nichts beweisen muss.

Sakrale Sünde
Pecadores – rot, roh, rebellisches aus Brasilien – zwischen Aggrotech, Religion und Mythos gewachsen, erzählen sie von Schuld, Glaube, Ekstase. Ihre Songs atmen Macumba und pulsieren wie ein Gebet unter Strom – aggressiv, tranceartig, sakral: ein Tanz zwischen Andacht und Auflehnung. Ein Auftritt, der sich nicht anpasst – sondern beschwört und überraschte.

Neue Lieder aus dunklem Holz
Jetzt wird es erdig. Stein stellen den Lärm ins Off, lassen Raum, lassen Atem. Norbert Strahl führt mit fester, warmer Stimme durch Lieder, die nach Rauch, Wetter und Vergangenheit schmecken – kein Spektakel, sondern Sammlung. Der Wald hört zu.

Eleganter Verfall
Hell Boulevard übernehmen mit einer Mischung aus Glamour und Grabesstille. Ihr Dark Rock ist theatralisch, aber mit Seele. Von „As Above So Below“ bis „You Had Me at ‘Fuck Off’“ – jeder Song ein Statement, jede Geste ein Zitat. Andy LaPlegua steht vorne, lächelt. Kein Wunder: Diese Band weiß, wie man Dunkelheit tanzen lässt.

Eis und Emotion
Ein anderer Ton folgt: Aus Griechenland weht mit Kalte Nacht Melancholie, klar und still, aber wunderschön entrückt. Ihr Sound ist wie ein Blick durch gefrorenes Glas: klar, verletzlich, ehrlich. Griechische Kühle trifft auf menschliche Wärme, und der Park schweigt tanzend für einen Moment.

Aggression als Erlösung
FabrikC reißt danach alles wieder auf. Brachialer Industrial mit apokalyptischem Druck. Lichtblitze, Sirenen, Beats – und trotzdem Groove. Es ist laut, schmutzig, kathartisch – und die Menge will mehr.

Kalte Mechanik, kühles Charisma
Ein Moment, den man sonst fast nie live erlebt: Thomas Lüdke steht mit seinem Projekt The Mao Tse Tung Experience auf der Bühne. Was folgt, ist kein Spektakel, sondern pure Substanz. Kalte Mechanik trifft auf synthetische Strenge, minimalistische Beats auf klare Haltung. Der Sound ist rau, kantig, reduziert – wie ein Manifest aus Stahl – dazwischen schwingt immer ein leiser, ironischer Unterton, der den politischen Kern nicht bricht, sondern schärft.

Schärfe, Schatten, Satire
Kein reiner Electro-Act, sondern ein Hybrid aus Punk, Post-Punk und Wave: Twin Noir – Gitarren und Elektronik stehen sich auf Augenhöhe gegenüber. Sampler, Drumcomputer, ein Theremin und sogar das analoge Tonband geben den Stücken diese raue Textur, die nach Untergrund riecht. Klangflächen wechseln zwischen Synth und Gitarre wie kaltes und warmes Licht. Ein Auftritt wie eine Schneise: direkt, kantig, klug.

Sturm aus Stahl
Dann wird’s laut. Heldmaschine katapultieren das Publikum wie ein Donnerschlag aus der Melancholie. Rammstein-Schule, aber mit eigenem Blut. Präzise, visuell, kompromisslos. Flammen, Druck, Rhythmus. Ihre NDH ist Disziplin und Druck zugleich. Ein Auftritt, der nicht bittet, sondern befiehlt – ein Befehl zum Tanzen.

Dunkelheit in Neon
SYZYGYX bringen danach den Underground-Vibe zurück. Minimal-Wave mit Noise, Electroclash und flackernden Lichtern. Sie klingen wie ein nächtlicher Club im Cyberpunk-Fiebertraum. Sängerin Luna ist pure Energie – roh, zärtlich, unberechenbar, aber auch flackernd, fordernd, verletzlich.

Wut trifft Kontrolle
Grendel führen die Linie fort, aber straffer. Die Bühne pulsiert, der Bass wummert, die Menge brüllt. Aggression mit System, Wut mit Struktur. Es ist ein Gewitter aus Beats, aber nie Chaos.

Tanz auf den Trümmern
Reaper hält die Energie hoch – ein Hybrid aus EBM, Techno und Aggression. Vasi Vasilis Tracks sind wie Faustschläge in Lichtgeschwindigkeit. Trotz der Härte: Es bleibt tanzbar, kein Raum für Stillstand, kein Platz für Denken – nur Bewegung.

Dunkelheit in Perfektion
Dann – der Moment, auf den viele gewartet haben. She Past Away stehen im Dunst, zwei Schatten, ein Herzschlag. Türkischer Dark Wave in Reinform – minimal, magnetisch, erhaben. Das Publikum wiegt sich, der Nebel glüht, und jeder weiß: Das ist Szene-Essenz.

Feier der Finsternis
Tanzwut übernehmen, laut, theatralisch, kompromisslos – und lassen keinen Stein stehen. Des „Teufels“ Feuer zündet, Dudelsäcke kreisen, die Bühne lodert, und man könnte glauben, dass selbst ein Stromausfall mit zur Show gehöre. Es riecht nach Schwefel, der Boden bebt – hier trifft Mittelalter auf Moderne – und das Publikum tobt. Ein wuchtiges Finale vor dem Finale.

Heimkehr ins Licht
Und schließlich – als letzter Akt eines dreitägigen Rituals – Camouflage. „The Great Commandment“, „Love Is a Shield“ – Hymnen einer Generation. Ihre Ruhe ist Kraft, ihre Präsenz selbstverständlich, souverän, zeitlos. Camouflage spielt Musik, die nicht laut werden muss, um groß zu sein. Der Park leuchtet im warmen Licht, Menschen halten sich in den Armen, manche weinen, andere tanzen. Ein Abschluss ohne Feuerwerk, aber mit Seele.

Nachklang

Drei Tage, vier Bühnen, unzählige Emotionen. Das NCN 2025 war keine Flucht aus der Realität – es war eine, die sie schöner machte. Ein Ort, an dem Schwarz nicht Trauer heißt, sondern Zugehörigkeit. Ein Festival, das Herz und Haltung hat – und beides teilt.

FAZIT – Wenn Musik zu Erinnerung wird

Drei Tage Dunkelheit. Drei Tage Licht. Das NCN 2025 war kein Festival im klassischen Sinn – es war eine Reise durch die Topographie der Szene, durch Sehnsucht, Haltung, Lärm und Schönheit. Zwischen Baumkronen, Nebel und Beats entstand wieder dieser magische Zwischenraum, in dem wir alle gleich sind: Tänzer, Träumer, Ruinen mit Rhythmus. Man sagt, das NCN sei klein, familiär, „bodenständig“. Mag sein. Aber wer dort war, weiß: Es ist einer der letzten Orte, an denen Authentizität keine Floskel ist. Hier gibt’s keine großen Sponsorenfassaden, keine Influencer-Kulisse – nur echte Menschen, echte Musik, echte Emotion. Und wenn in der letzten Nacht Camouflage den Park in warmes Licht tauchen, wenn die Stimmen langsam verstummen und der Bass nur noch im Boden nachzittert, dann weißt du: Du warst dabei. Und ein Teil davon bleibt.

Text & Photos: Thomas Friedel Fuhrmann – Lass uns schreiben, bis die Worte atmen.