Live erlebt: 11 Jahre Schwarze Nacht – DAS ICH, RABIA SORDA u.v.m.

29. November 2025, Mönchengladbach, Projekt 42

Die Schwarze Nacht in Mönchengladbach feierte am letzten Samstag im November kurz vor der Adventszeit ihren 11. Geburtstag mit einem Festival, bestehend aus fünf namhaften Bands. Allerdings nicht wie gewohnt im Kultube, sondern aus Platzgründen im nur ein paar hundert Meter entfernten Projekt 42. Die typische Erkältungswelle im Winter hatte jedoch auch hier kein Erbarmen und so mussten Sea of Sin krankheitsbedingt leider absagen. Nicht nur traurig für ihre Fans, auch sie hatten sich schon darauf gefreut neu veröffentlichte Songs dort zum ersten Mal zu spielen. Auch Casi von Rroyce, der als Host durch die Veranstaltung führen sollte, musste zu Hause bleiben. In kürzester Zeit wurde durch das fleißige Team eine Lösung gefunden: Super Dragon Punch! aus Belgien als Ersatz für Sea of Sin, und Teamkollegin und DJane der Schwarzen Nacht Isa als Moderatorin. Als kleines Schmankerl sollte Erk Aicrag von Rabia Sorda vor seinem Auftritt mit selbiger, zu Anfang noch eine kleine Lesung geben. Problem erkannt – Problem gelöst.

Kurz nach dem leicht verzögerten Einlass betrat der gebürtige Mexikaner, der allerdings in Deutschland lebt, ganz bodenständig mit dem Zug angereist war, wie man den sozialen Medien entnehmen konnte, die Bühne. In Jeansjacke, T-Shirt und Jeans noch optisch weit entfernt von dem, wie man ihn sonst bei Hocico oder Rabia Sorda kennt, aber es muss beim Lesen schließlich bequem sein und die Lauschenden nicht abgelenkt werden. Voller Inbrunst las er ausgewählte Texte und Gedichte wie „Sometimes I Believe in God“ und „If I Die today“ aus seinem neusten Buch „Pingo“, dessen Titel an seinen Spitznamen aus Kindertagen angelehnt ist. Eine Mischung aus persönlichen Geständnissen und emotionaler Prosa. Nicht ohne den Hinweis zu geben, man könne das Buch zu Weihnachten gut an jemanden verschenken, den man liebt oder aber auch hasst. Leider gibt es das Buch nicht mit ihm in Kombination zu kaufen, damit Erk auch unterm Weihnachtsbaum persönlich vorliest. Schade aber auch.

Nun folgte der musikalische Teil des Abends angeführt von Super Dragon Punch!, die wenige Stunden vor Veranstaltungsbeginn noch gar nichts von ihrem Glück wussten. Die Rettenden in der Not. Mit dynamischem Sound und einer beeindruckenden Bühnenenergie brachten Sänger Jérémie Venganza, der mütterlicherseits mexikanische Wurzeln hat, und Partnerin Sabrina Zen den Saal zum Kochen. Da wurde zu Songs wie „Rise“ und „Split“ auch mal im Liegen gesungen und ganz Rockstar-like Bier statt Wasser gegen die trockene Kehle getrunken. Verzückte Laute erklangen aus dem Publikum, als Sabrina kurz verschwand und mit riesigen krähenartigen Flügeln wieder erschien, um Jérémie zu „Sutura“ damit tänzerisch zu umgarnen. Damit setzte sie ein weiteres visuelles Highlight, obwohl das bei ihrem hautengen schwarzen PVC-Outfit gar nicht nötig gewesen wäre. Ob es nun an ihrer Präsenz oder am Herumwirbeln auf der Stage lag, dass Frontmann Venganza sich vor Hitze ab „Core“ seiner Weste entledigte, bleibt ungewiss. Fest steht, dass es ein gelungener Auftritt war.

Als Nächstes betraten All the Ashes die Bühne – alte Bekannte der Schwarzen Nacht, die diesmal allerdings zu zweit auftraten. Schlagzeuger Carsten musste mit einer verletzten Schulter pausieren, ließ es sich aber nicht nehmen, das Geschehen vom Bühnenrand aus zu verfolgen. Trotz der reduzierten Besetzung legte das Duo mit gewohntem Elan los und präsentierte mit „Inkompatibel“ sogar einen brandneuen Song aus dem für das nächste Jahr angekündigten Album – ein kleines Highlight für Fans der ersten Stunde. „Kommen wir zu einem schon fast Klassiker“, leitete Sänger Klaus anschließend „From the Ashes“ ein, gefolgt von einem energiegeladenen „Stahl bricht Stein“, bei dem er das Publikum mit einem breiten Grinsen aufforderte, „jetzt mal ein bisschen Gas zu geben“ und alle Hände in die Höhe zu reißen. Zwischen den Songs suchte er immer wieder charmant den Kontakt zu den Menschen vor der Bühne, zwinkerte, hielt das Mikro hin und freute sich sichtlich über die Resonanz: „Sehr schön – ey, das macht ja richtig Spaß hier!“ Spätestens beim Song „Schwarz macht schlank“, angekündigt mit den Worten „den nächsten Song wird wahrscheinlich jeder von euch kennen“, konnte endgültig niemand mehr stillstehen. Zum Abschluss holte das Duo ihren verletzten Mitstreiter noch zum gemeinsamen Verbeugen auf die Bühne – ein runder Moment voller Sympathie und Zusammenhalt.

Danach übernahmen System Noire das Zepter – erfahrene Bühnenakteure, die bereits mit Szenegrößen wie [:SITD:] unterwegs waren. Ihr Mix aus druckvollen Beats und eingängigen Melodien sorgte sofort für neuen Schwung im Saal. Gleich zu Beginn wurde kräftig mitgerufen, besonders bei „Dead Inside“, wo der Chor aus vielen Kehlen laut das geforderte „inside“ zurückhallte. Nach langer Abstinenz kehrte „Killing Game“ zurück ins Live-Programm, kommentiert von Frontmann Björn mit einem ironischen „Dann müssen wir den ja jetzt die nächsten zehn Jahre nicht mehr spielen.“ Bei „Lost Control“ ließen sich alle auf ein kleines Spiel ein, gingen zu dem Ruf „Hey world!“ in die Knie, um kurz darauf mit einem vielstimmigen „what the fuck!“ wieder aufzutauchen – eine mitreißende Szenerie, die selbst die Musiker zum Strahlen brachte. Zum Abschluss überraschte die Formation mit einem Rollenwechsel: Gitarrist Gaia setzte sich ans Schlagzeug, während der Drummer an die vordere Bühnenkante trat und zusammen mit dem Sänger den Abend energisch ausklingen ließ. Ein kraftvolles Ende, das vor Spielfreude nur so sprühte.

Als vorletzter Act des Festivals enterten Rabia Sorda die Bühne und legten mit ihrem kraftvollen Mix aus Industrial und Punk-Energie ordentlich nach. Frontmann Erk zeigte sich gewohnt temperamentvoll, sprang unermüdlich hin und her, sodass seine Hose dabei immer weiter rutschte – vielleicht gewollt, vielleicht auch nicht – und kurz die blaue Unterwäsche sichtbar wurde. Nach „We Are Not Machines“ musste kurzfristig jemand her, um ausgelaufenes Wasser zu beseitigen – offenbar eine rutschige Erinnerung an den beinahe gestürzten Drummer Marco beim Aufbau zuvor. Auch später blieb es lebendig: Ein Becken wollte nach „So Slow It Hurts“ neu justiert werden, während Erk nach „Perfect Black“ schweißnass grinste und mehrmals rief: „It’s getting hot!“ Zu „Out of Control“ startete zunächst ein kleiner Patzer, den er mit einem selbstironischen „Sorry, I fucked it up – jetzt machen wir’s richtig!“ charmant abfing. Ungebremst nutzte er anschließend sogar den schmalen Bereich vor den Lautsprechern, wo beim wilden Umherwirbeln eine Flasche zu Bruch ging. Trotz kleiner Chaosmomente boten Rabia Sorda eine leidenschaftliche, mitreißende Performance, die das Publikum perfekt auf den bevorstehenden Headliner einstimmte.

Zum krönenden Abschluss des Konzertprogramms betraten Das Ich die Bühne – echte Urgesteine der schwarzen Szene, die seit über drei Jahrzehnten für ausdrucksstarke Klangkunst und theatralische Auftritte stehen. Sänger Stefan Ackermann, in roter Pluderhose, schwarzem Hemd und Gymnastikschuhen, wirbelte mit unverwechselbarer Gestik und Leidenschaft über die Bühne – irgendwo zwischen expressivem Theater und düsterem Zirkus. Schon beim Auftakt mit „Lazarus“ und dem folgenden „Kannibale“ rief er mehrmals laut „Move it!“, und kaum jemand konnte stillstehen. Vor „Schwarzer Stern“ und „Was bin ich?“ folgten kleine Tanzeinlagen. Das Tempo der, durch Bruno Kramm angestoßen, schnell aufeinander folgenden Songs trieb ihn unermüdlich voran, bis er schließlich lachend eingestand: „Ich hab’s meinem besten Freund schon gesagt – ich bin zu alt für sowas! Aber ihr findet das lustig … wir sehen uns in der Hölle!“ Kurz danach suchte er die Nähe zum Publikum, reichte einer begeisterten Besucherin ein Textblatt, kniete sich davor und sang mit intensiver Hingabe direkt in ihre Richtung. Bei „Kain und Abel“ wurde mitgeklatscht, mitgerufen und gelächelt – eine spürbar familiäre Stimmung. Währenddessen lieferten sich Bruno und Sven Hegewald auf ihren rollbaren Keyboards ein packendes Zusammenspiel, wechselten ständig die Positionen und füllten die Bühne mit Energie. Zwischendurch richtete Bruno ein paar ehrliche Worte an den Raum: „Unterstützt solche Subkultur-Festivals – davon lebt unsere Szene!“ Vor der Zugabe fragte Sven schelmisch: „Könnt ihr noch?“, worauf Stefan witzelnd entgegnete: „Er fragt, weil er so jung ist!“ Danach folgte ein fulminantes Finale mit „Gottes Tod“ und der Club-Version von „Lazarus“, das den Saal ein letztes Mal in Bewegung versetzte.

Doch wirklich zu Ende war der Abend damit noch nicht: Wer nach all den Konzerten noch Reserven hatte, fand sich bei der Aftershow-Party auf zwei Floors wieder. Zu düsteren Achtziger-Klängen und treibenden Beats wurde bis in die frühen Morgenstunden weitergetanzt – ein ausgelassener Ausklang einer Schwarzen Nacht, die ihrem Namen alle Ehre machte.

Text: Fabienne Wiedmann
Photos: blende666

Setlist Super Dragon Punch!:
„Rise“ • „Split“ • „Scar“ • „Sutura“ • „Core“ • „Select“ • „Haste“

Setlist All the Ashes:
„Bewegungsapparat“ • „Untertan“ • „Inkompatibel“ • „From the Ashes“ • „Break Out“ •“ Kontrollverlust“ • „Stahl bricht Stein“ • „Implantat“ • „Herz aus Stahl“ • „Schwarz macht schlank“ • „Sternenreiter“

Setlist System Noire:
„Into the Ether“ • „Days of Destruction“ • „Voices“ • „Throw the Dice“ • „Katharsis“ • „Dead Inside“ • „Worlds Collide“ • „Fade Away“ • „New Dark Nation“ • „Killing Game“ • „Lost Control“ • „On the Other Side“

Setlist Rabia Sorda:
„King of the Wasteland“ • „Violent Love Song“ • „We’re Not Machines“ • „So Slow It Hurts“ • „Shut Up and Dance“ • „No Hay Dolor“ • „Radio Paranoia“ • „Perfect Black“ • „Destruye“ • „Out of Control“ • „Deaf“ • „Dekadenz“ • „Walking on Nails“

Setlist Das Ich:
„Lazarus“ • „Kannibale“ • „Schwarzer Stern“ • „Was bin ich?“ • „Brutus“ •“ Uterus“ • „Engel“ • „Prometheus“ • „Reanimat“ • „Dantes Hölle“ • „Kindgott“ • „Kain und Abel“ • „Destillat“ ••• „Gottes Tod“ • „Lazarus Club Version“

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