So war es bei ULTRA SUNN

27. November 2025, Hannover, Café Glocksee
SIIE und ULTRA SUNN verbinden Vergangenheit und Zukunft der Szene
An diesem Abend zeigte das Café Glocksee eindrucksvoll, warum es zu den wichtigsten Orten der alternativen Musikszene in Norddeutschland gehört. Zwei Acts, die unterschiedlicher kaum auftreten könnten und dennoch im Kern eine gemeinsame Sprache sprechen, lockten ein vielfältiges Publikum in den Club: SIIE und ULTRA SUNN. Was folgte, war ein Abend, der elektronische Musik nicht nur wiedergab, sondern erlebbar machte – körperlich, emotional und atmosphärisch dicht.
SIIE – Ein eröffnender Klangraum zwischen Minimalismus und rhythmischer Strenge
20:00 Uhr, punktgenau. Kaum ein Konzert begann so präzise wie das von SIIE – und diese Genauigkeit zog sich wie ein roter Faden durch die gesamte Performance. Die Band betrat die Bühne ohne großes Zeremoniell, doch das Publikum reagierte sofort: Jubel, erwartungsvolle Blicke, eine kollektive Konzentration, die den Raum spürbar verdichtete. Der erste Beat fiel – und in den vorderen Reihen begannen bereits die ersten Bewegungen. Es dauerte keine halbe Minute, bis die Besucher ganz vorne vollständig im Rhythmus aufgingen. Der Tanz begann nicht zögerlich, sondern bestimmt und selbstverständlich, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.
Die klangliche Ausrichtung der Band lässt Assoziationen an Jäger 90, DAF und die rohe Direktheit der frühen EBM-Ära aufkommen. Doch SIIE setzen mehr auf Flächen, Eleganz, eine Art kontrollierte Emotionalität. Nichts wirkte gefällig, kein Sound war zufällig – alles schien bewusst arrangiert, präzise austariert. Das Café Glocksee war gut gefüllt, aber nie überladen.
Dieser Zwischenzustand erwies sich als ideal: Die Energie sammelte sich im Raum, ohne dass sich Enge oder Hitze negativ bemerkbar machten. Man konnte tanzen, stehen, sich treiben lassen – und genau das tan viele. Das Publikum war bemerkenswert divers. Junge Szene-Gäste standen neben Menschen, die diese Art von Musik bereits in den Achtzigern live erlebt haben könnten. Dieses Nebeneinander verlieh dem Abend eine besondere soziale Dynamik: Hier trafen Generationen aufeinander, die dieselbe musikalische DNA teilten. Musikalisch überzeugte die Band mit fließenden Übergängen. Die Set-Struktur wirkte eher wie ein DJ-Mix als ein klassisches Konzert. Kaum ein Song endete abrupt; vielmehr glitten die Stücke ineinander und erzeugten einen kontinuierlichen Bewegungsfluss. Das Publikum reagierte darauf mit durchgehender Aktivität, insbesondere in den ersten Reihen, die kaum einen Moment der Stille zuließen. Die Tracks „5ème Avenue“, „À Travers“ und „Nightlife“ markierten Höhepunkte. Sie brachten melodische Fragmente ins Spiel, die sich tief im Publikum verankerten, und gleichzeitig genug Härte, um die Tanzfläche weiter anzutreiben. SIIE lieferten mit ihrem Set einen Eröffnungsakt, der durch seine atmosphärische Dichte, Struktur und Klarheit überzeugte – und der zugleich hohe Erwartungen für das folgende Programm schuf.
ULTRA SUNN – Ein modernes Achtziger-Gefühl, das nicht retro ist, sondern relevant
21:00 Uhr. Während die Bühne erneut vorbereitet wurde, füllt sich das Café Glocksee weiter. Es entstand ein spürbarer Erwartungsdruck, allerdings ohne Hektik. Die Besucher wechselten Drinks, rückten etwas näher, tauschten Eindrücke über SIIE aus – ein Zeichen dafür, dass der Abend bereits angekommen war. Doch mit dem ersten Ton von ULTRA SUNN verschoben sich die Bedingungen völlig. Wo zuvor ein konstanter, hypnotischer Spannungsbogen herrschte, explodierte jetzt eine kollektive Tanzenergie, die den gesamten Raum erfasste. Vom ersten Track an war klar: ULTRA SUNN sind gekommen, um die Stimmung nicht nur aufzunehmen, sondern zu steigern. Die belgische Band arbeitete mit Achtziger-Ästhetik, aber ohne die üblichen Klischees. Keine überzeichnete Nostalgie, keine rein replizierten Sounds – stattdessen ein moderner, druckvoller Ansatz, der auf eleganter Produktion und einer klaren künstlerischen Handschrift basiert. Wem Namen wie Frozen Plasma oder VNV Nation vertraut sind, der erkennt gewisse Parallelen: große Melodiebögen, präzise Beats, ein Sänger, der die emotionale Tragfähigkeit besitzt, um einer ganzen Halle Struktur zu geben.
Besonders auffällig war die Sogwirkung, die ULTRA SUNN erzeugen. Schon beim zweiten Track war das gesamte Café Glocksee in Bewegung. Die stilistische Handschrift erlaubte es dem Publikum, sich schnell einzufinden – doch die Energie der Performance sorgte dafür, dass die Tanzintensität über das gesamte Set hinweg erhalten blieb. Der klangliche wie atmosphärische Höhepunkt entstand mit „Guardian of Your Dreams“ – einem Song, der in dieser Live-Umgebung die Qualität eines Publikumsbinders entfaltete. Es wurde mitgesungen, mitgeklatscht, mitgetanzt. In diesem Moment wurde deutlich, warum ULTRA SUNN europaweit gerade so viel Aufmerksamkeit erhalten: Ihre Musik funktionierte nicht nur technisch hervorragend, sondern auch emotional unmittelbar.
Auch die Band selbst spielte diesen Effekt bewusst aus. Alle Mitglieder waren sichtbar engagiert, bewegten sich mit, lächelten, interagierten mit dem Publikum. Es wirkte nicht inszeniert, sondern authentisch – ein seltenes, aber wichtiges Element für elektronische Live-Auftritte, die manchmal Gefahr laufen, distanziert zu wirken.
Die umfangreiche Setlist führte die Band durch zahlreiche Facetten ihres Repertoires – von druckvollen Clubtracks bis zu melodischeren, erzählerischen Momenten. Dabei gelang es ihr, das Energielevel konsequent hochzuhalten, ohne die Dramaturgie zu vernachlässigen. Mit den Zugaben „Keep Your Eyes Peeled“ und „Night Is Mine“ lieferten ULTRA SUNN ein kraftvolles Finale, das den Raum noch einmal vollständig erfasste. Es war ein Ende, das nicht abrupt aus dem Abend herausriss, sondern den vorhandenen Schwung rundete und verstärkte.
Ein Abend, zwei Handschriften – und ein gemeinsamer Kern
Der Konzertabend im Café Glocksee bewies, wie vielfältig elektronische Musik heute sein kann. SIIE offenbarten die reduzierte Eleganz und den strukturellen Minimalismus, der an die frühen Wurzeln des Genres erinnerte. ULTRA SUNN zeigten die zeitgenössische Weiterentwicklung – melodischer, tanzbarer, emotionaler. Gemeinsam erzählten sie die Geschichte einer Szene, die sich nicht in Nostalgie verliert, sondern sich ständig weiterentwickelt. Das Publikum nahm diese Geschichte dankbar an: tanzend, hörend, fühlend – und am Ende sichtbar zufrieden. Was bleibt, ist das Nachglühen eines Abends, der mehr war als ein Doppelkonzert. Es war ein Gesamterlebnis elektronischer Musik: körperlich, atmosphärisch und verbindend. Ein Abend, der zeigte, dass das Café Glocksee noch immer ein Ort ist, an dem Musik nicht nur gespielt, sondern gelebt wird.
Text: Jasmin Kramer
Photos: Dennis Post
Setlist:
„Intro (Golden Vein)“ • „The Speed“ • „Young Foxes“ • „Wrong Floor“ • „Guardian of Your Dreams“ • „Some Ghost Could Follow“ • „You & Me“ • „Broken Monsters“ • „Out of the Cage“ • „This Is Not About You“ • „You Came with a Blade“ • „Can You Believe It“ • „The Beast in You“ • „Keep Your Eyes Peeled“ • „Night Is Mine“
Höre Ultra Sunn in unserer „Dark Wave – Worldwide“-Playlist auf Spotify:
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