So war es bei ROCK AM RING 2025 mit SLEEP TOKEN, KoЯn, POWERWOLF, FALLING IN REVERSE u.v.m. (Teil 3/3)

06.–08.06.2025, Nürburgring
Sonntag: Von Sternschnuppen und Arkadien
Zeit, die letzten Kraftreserven zu mobilisieren, die müden Glieder in Bewegung zu bringen und sich ein letztes Mal kopfüber in den Festivalrausch zu stürzen. Wer auf dem Zeltplatz kampierte, war die klammen Klamotten inzwischen gründlich leid – aber Jammern war keine Option. Denn was uns am Abschlusstag des Rock-am-Ring-Jubiläums erwartete, war ein echtes Brett. Die Temperaturen pendelten sich irgendwo zwischen Frösteln und Zähneklappern ein, doch wer friert, tanzt! Meine Geheimwaffe? Merino-Wollsohlen. Denn warme Füße sind am Ring mindestens so wichtig wie ein funktionierender Moshpit. Das Wetter? Sollte eigentlich halten … eigentlich. Aber wir wissen: Die Eifel spielt nach ihren eigenen Regeln – und liebt den Überraschungseffekt.
Dunkle Vorzeichen?
Somit fand ich mich bei Sonnenschein – endlich mal ohne Regencape in der Tasche – an der Orbit Stage ein. Dort gaben Zetra ihr Rock-am-Ring-Debüt. Seit ihrem Signing bei Nuclear Blast geht es für das mystische Synthrock-Duo steil bergauf: Nach Touren mit Health sowie Zeal & Ardor stehen jetzt nicht nur der Ring, sondern auch das Download Festival und ein Slot als Opener für den heiß gehandelten Newcomer President auf dem Programm – eine flammneue Band, die nicht wenige als künftige Konkurrenz für Sleep Token sehen. Doch kaum hatte ich mir einen Platz in der ersten Reihe gesichert, zogen tiefdunkle Wolken auf. Ein Security-Mitarbeiter trat vor und warnte uns vor einem drohenden Platzregen – riet, Schutz unter einem der Merchstände zu suchen. Ach, verdammt. Ich folgte dem Rat, doch die Wolke war schneller. Sie entlud sich mit voller Wucht und so begann Zetras Set vor nur einer Handvoll Zuschauern, als sie mit „Gaia“ eröffneten. Wie üblich waren die Gesichter von Adam (Gitarre/Gesang) und Jordan (Synth/Backing Vocals) mit düsteren Corpse Paints versehen, gekleidet waren sie in Lack und Leder – Adam wie immer barfuß. Ein Bild irgendwo zwischen Ritual, Sci-Fi und Endzeitromantik. Und obwohl der Auftakt buchstäblich ins Wasser fiel, legte sich über die Szenerie ein Hauch von Kult.
Wie aus einer anderen Welt
So schnell, wie der Regen aufgezogen war, verzog er sich auch wieder. Ich machte mich schnurstracks wieder auf den Weg zur Bühne – und mit mir kamen immer mehr Neugierige, die sich von der düsteren Ästhetik des Duos angezogen fühlten. Als der Opener verklang, blickten Adam und Jordan zögerlich ins Publikum. Würde ihre synthlastige Musik mit Gesang bei den Ringrockern Anklang finden – oder in der Vormittagskühle verpuffen? Doch dann: Applaus, Jubel, ein hörbares Aufatmen. Ein Lächeln huschte über ihre geschminkten Gesichter, Adam ballte erleichtert die Faust – jetzt konnten Zetra loslegen. Ihre sphärischen Klänge, die zauberhaften Melodien und der sanfte Gesang webten einen traumwandlerischen Einstieg in den Festivaltag. Man wog sich selig im Takt, ließ sich von der Magie treiben und beobachtete das Duo mit leuchtenden Augen. Neben Songs ihres selbstbetitelten Debütalbums präsentierten sie auch ihre aktuelle Single „So“, und mit jedem weiteren Track wuchs das Publikum – mitsamt den ersten „Wohoo“-Rufen. Mit einem schlichten „Thank you Germany, we are Zetra“ kündigten sie ihren finalen „Sacred Song“ an – ein Stück, das sanft begann, unvermittelt aufdrehte, Adam sogar zum Schreien brachte, bevor es sich wieder beruhigte und schließlich in verträumter Ruhe ausklang. Danke für diesen Mut, liebe Festivalmacher – Zetra hinterließen einen bleibenden Eindruck. Und siehe da: schwarz-geprägte Synth-Musik funktioniert erstaunlich gut am Ring.
Zwischen Wucht und Wehmut
Polaris legten auf der Mandora Stage los wie die Feuerwehr – mit einem energiegeladenen Mix aus knallharten Breakdowns und eingängigen Melodien. Frontmann Jamie Hails riss die Menge mit, während Rick Schneider, Jake Steinhauser und Daniel Furnari ein dichtes Soundfundament legten, das stimmlich und instrumental packte. Doch hinter der Power lag auch Schmerz: Es war der erste Festival-Sommer ohne ihren verstorbenen Gitarristen Ryan Siew. Seine Parts übernahm der Touring-Gitarrist Jesse Crofts – eine emotionale Brücke, die tief berührte.
Ihr aktuelles Album „Fatalism“, ein posthumer Tribut mit Siews letzten Beiträgen, etablierte sich auf Platz 1 der australischen Charts. Live zeigte sich, warum die Platte gefeiert wird: Tracks wie „Nightmare“ und „Inhumane“ entluden sich mit technischer Finesse und emotionaler Wucht – ein Moment, in dem „auf der Bühne unser kollektiver Schmerz zur größten Einheit wurde“. Wer dieses Set verpasst hat, sollte dringend nachlegen: Polaris stehen für Metalcore mit Seele – und die ganz großen Bühnen können kommen.
Phönix aus der Asche
Manchmal findet man im Line-up nicht nur eine Band, sondern einen funkelnden Diamanten, der aus dem Nichts erstrahlt – für mich waren es diesmal I See Stars. Die US-Band aus Warren, Michigan, war in den 2010er Jahren bereits erfolgreich, bevor es dann spürbar still wurde: Seit 2016 kein neues Album, kaum Livepräsenz. Erst 2023 meldeten sie sich eindrucksvoll zurück. Unter anderem mit dem Song, der mich vor einigen Monaten auf die Spur von I See Stars gebracht hat: „Anomaly“ – ein elektrisierender Aufbruch zwischen Schmerz und Selbstermächtigung. Zerbrechlich und wütend zugleich, trifft er mitten ins Herz. Vielleicht, weil er spüren lässt, wie es ist, sich im Chaos selbst wiederzufinden. Frontmann Devin Oliver, attraktiver als es ein Rockstar fast sein darf, trug einen schwarzes leicht transparentes Glitzershirt – an seinen Schläfen funkelten kleine Strasssteine. Sein hellblonder, sorgsam drapierter Dutt hielt seinem wirbelwindartigen Run und seinen Drehungen auf der Bühne gerade mal dem temporeichen Opener „Drift“ stand.
Im Strudel der Sterne
Devin suchte ganz nah am Bühnenrand immer wieder die Nähe der Fans, schenkte Blickkontakt und steckte jeden mit seinem Strahlen an. Der Funke sprang sofort über, die Menge, tanzte, jubelte, flog. „How are you feeling, Rock am Ring? We’re so fucking happy to be here with you today. Are you alive?“ – seine Stimme, mal kristallklar, mal energisch-screamend, schraubte sich durch den Electronicore-Orkan aus Metalcore-Breakdowns, EDM-Drops und Synth-Magie. Bei „Running With Scissors“, „Are We 3ven“ oder dem Mitsing-Banger mit „Split!“ war klar: Diese Show zündet nicht nur – sie brennt sich ein. Emotional, energiegeladen, nahbar. „This is our last show for a while… Thank you so much. We are I See Stars and we’ll see you next year.“ Im August erscheint ein neues Album – Titel und Releasedatum? Noch geheim. Zum krönenden Abschluss spielten I See Stars selbstredend „Anomaly“, die bittersüße Hymne vereinte fragil leuchtende Synthflächen mit impulsivem Gesang, der von verletzlicher Klarheit zu eruptivem Ausbruch wechselte. Ein intensiver, fast kathartischer Moment – und ein fulminantes Finale eines Auftritts, der sich wie ein Rausch anfühlte.
Die Eifel blies zur nächsten Attacke
– und trumpfte erneut auf: Wind? Ach was, regelrechter Sturm! Böen zogen bis in die Abendstunden über das Gelände und verpassten den Ringrockern nicht nur originelle Festivalfrisuren, sondern auch der Utopia Stage eine Extraportion Chaos. Das bekam das mexikanische Powertrio The Warning am eigenen Leib zu spüren. Wie soll man bloß singen, wenn einem permanent die Haare ins Gesicht wehen und man gleichzeitig die Hände an den Saiten braucht? Die beiden Gitarristinnen Dany und Ale nahmen es mit Humor – was blieb ihnen auch anderes übrig? Besonders Ale hatte mit den Elementen zu kämpfen: Einmal wollte sie über die Bühne laufen, kam aber schlichtweg nicht gegen den Wind an. Besser dran war Drummerin Paulina, deren streng zurückgebundener Zopf nebst Sonnenbrille dem Sturm souverän die Stirn bot. Doch die Villarreal-Schwestern ließen sich nicht beirren – und setzten ein lautes, kraftvolles Rock-Statement. Songs wie „CHOKE“, „MONEY“ oder das brandneue „S!CK“ vom aktuellen Album „Keep Me Fed“ trafen ins Schwarze: hart und mitreißend. The Warning zeigten eindrucksvoll, wie viel Wucht in einem weiblichen Trio stecken kann – und dass moderner Rock auch ohne Posen, aber mit Haltung, Leidenschaft und Spielfreude funktioniert. Ganz gleich, welche Windstärken die Eifel auffährt.
Post-Punk als Protestform
Die britischen Post-Punk-Provokateure Idles legten ihren Festivalauftritt mit voller Wucht vor: Joe Talbot riss sich förmlich die Seele aus dem Leib, während Gitarristen Mark Bowen/Lee Kiernan, Bassist Adam Devonshire und Drummer Jon Beavis eine energiegeladene Klangwand aus Punk, Wut und Herz errichteten. Tracks wie „Never Fight a Man with a Perm“, „Danny Nedelko“ und frische Songs vom aktuellen Album „TANGK“ verwandelten die Mandora Stage in ein anarchisches Kraftfeld – irgendwo zwischen politischer Brandrede und ekstatischem Pogo. Talbot predigte gegen Gleichgültigkeit und für Solidarität, ließ das Mikro krachen und sich mitten im Chaos von der Menge tragen – ein Akt reiner Selbstentladung, der unter die Haut ging. Die Idles zeigten eindrucksvoll, warum Haltung im Rock nicht nur möglich ist, sondern unentbehrlich.
Wunden, Würde, Wiederaufstieg
The Ghost Inside ließen am Ring keinen Zweifel daran, weshalb ihr Name für Metalcore mit Rückgrat und Herz steht. Vor dem zurückhaltenden Schwarz-Weiß-Backdrop entfesselten Frontmann Jonathan Vigil, Gitarrist Zach Johnson, Chris Davis, Jim Riley und Schlagzeuger Andrew Tkaczyk ein emotional aufgeladenes Set – gekleidet ganz im Einklang mit der Ästhetik: schwarz, weiß, reduziert. Eine visuelle Einheit, die das kraftvolle Zusammenspiel von Härte und Hoffnung noch verstärkte. Mit Songs wie „Engine 45“, „Avalanche“ und dem Material vom aktuellen Album „Searching for Solace“ machten sie die Bühne zur Ventilöffnung für kollektive Befreiung – Gänsehaut pur. Ihre Show war ein echter Intensivkurs in Gefühl und Wucht: breakdowngeladener Metalcore, sing-along-Momente, und Crowd-Wall‑of‑Death-Action, ehe Vigil mitten im Set innehielt. Er würdigte den unerschütterlichen Support der Fans seit dem schweren Busunglück 2015 – ein ergreifender Augenblick, der die unglaubliche Comeback-Story der Band spürbar machte.
Ein Sog aus Klang und Ekstase
Als Lorna Shore die Mandora Stage betraten, ahnte man: Hier wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Frontmann Will Ramos – eine Erscheinung zwischen Dämon und Dirigent – thronte auf einem eigens errichteten Podest am Steg, von dem aus er die tobende Menge mit beinahe magischer Anziehung lenkte, bis sich diese in hingebungsvoller Ekstase verlor. „Are you ready for a fucking good time? Open that shit up!“, rief er – und entfachte ein Feuer, das mit „Sun Eater“ zum brachialen Höllenritt wurde. Crowdsurfer flogen in Strömen, Bengalos zischten auf, Sicherheitskräfte griffen geistesgegenwärtig ein – und mittendrin dieser eine surreale Moment: Ramos, im schimmernden Sonnenuntergang, umgeben von einem beachtlichen Schwarm fliegender Körper. Eine Szene wie aus einem düsteren Traum. „It’s been a fucking bucketlist of mine!“, jubelte Will, der sich mit jeder Faser seinem Publikum hingab. Mit Songs wie dem Neuling „Oblivion“ und dem viralen Hit „To the Hellfire“ zeigte die Band, warum sie als Speerspitze des modernen Deathcore gelten: Brachiale Breakdowns, tiefschwarze Growls, Pig Squeals und eine Energie, die die Bühne in Flammen setzte. Spätestens bei der ergreifenden „Pain Remains“-Trilogie wich das pure Adrenalin einer Art düsterer Erhabenheit. Zu „Dancing Like Flames“ und „In a Sea of Fire“ wurde klar: Das hier war nicht nur ein Konzert. Es war ein Inferno. Und ein Versprechen, dass Lorna Shore am Ring keine Randnotiz bleiben werden – sondern ein Fixpunkt.
Feuer frei für den Antihelden
Falling in Reverse lieferten eine Show, die alle Sinne überrollte: ein Feuerwerk aus Genre-Bending, Ego-Inszenierung und unverschämt guter Live-Energie. Ronnie Radke, trotz – oder gerade wegen – seiner provokanten Art ein irgendwie charismatischer Frontmann, jonglierte sich mit seiner Band mühelos durch Metalcore, Sprechgesang, Pop-Punk und Stadionrock. Songs wie „Popular Monster“, „Voices in My Head“ und die neue Single „Ronald“ sorgten für kollektives Ausrasten – aber als „Watch the World Burn“ einsetzte, kippte die Stimmung vollends in den Wahnsinn. Pyros aus allen Richtungen, Feuerfontänen sogar aus den Videotürmen – der Ring stand gefühlt in Flammen. Die Menge tobte, sang, schrie – vollkommen entfesselt. Dass Ronnie die aktuelle, intensive Ballade „God Is a Woman“, die er zusammen mit Marilyn Manson eingespielt hat ausließ, war der einzige Wermutstropfen. Zum Abschied lief „We Are the Champions“ von Queen über das Gelände, und abertausende Stimmen sangen voller Inbrunst mit. Ein denkwürdiger Auftritt mit großem Spektakel, aber auch überraschend positiven Ansagen – Provokation hin oder her – live ist diese Band eine Wucht.
Ein sinfonisches Spektakel
Powerwolf verwandelt das Infield in eine bombastische Metal-Messe: Auf mehreren Bühnenebenen, mit Orgel-Atmosphäre und pyrotechnischem Pathos inszenieren Attila Dorn, Falk Maria Schlegel, die Greywolf-Brüder und Roel van Helden eine theatralische Messe aus Hymnen und Headbangern. Klassiker wie „Amen & Attack“ und „Demons Are a Girl’s Best Friend“ trafen direkt ins Herz – während das neue Material aus dem Album „Wake Up the Wicked“ mit infernalischer Macht über die Menge hereinbrach. Zwischen sakralem Bombast und fantasy-haften Bildern fühlte sich das Ganze wie eine Metal-Oper oder Szene aus einem Fantasyfilm an. Für die Powerwolf-Fans war es mehr als ein Konzert – es war eine schwere Sacra, ein ritualisierter Metal-Ausbruch in XXL-Manier.
Nu Metal in Reinform
KoЯn ließen die Utopia Stage beben und führten dem Ring vor, dass sie nach wie vor die Könige des Nu-Metal sind. Frontmann Jonathan Davis riss die Menge mit seinem markerschütternden „Are you ready?“-Ruf mit: „Blind“, „Twist“, „Got the Life“ – die Klassiker donnerten wie Geschütze durch den Pit, während sich Davis genüsslich feiern ließ und die Menge in Raserei trieb. KoЯns Stärke liegt im Spiel mit Kontrasten: Metalschwere, Rap-Attitüde und eine düstere Klangwelt, die live zu einem einzigen Schub aus Energie verschmilzt. Besonders episch: Als der Fronter während „Shoots and Ladders“ den Dudelsack erklingen ließ. Ein Gänsehautmoment – zwischen Nebel, Lichtgewittern und einem Publikum, das für Sekunden ganz still wurde, bevor alles explodierte. Der urtümliche Klang wirkte wie ein finsteres Ritual, das die Nacht aufriss und Gänsehaut bis in die letzte Reihe jagte. Zu „Falling Away from Me“ und „Twisted Transistor“ bildete sich ein brachialer Pit, während Drummer Ray Luzier mit seinen Drumsticks jonglierte, als wäre das alles nur ein lockeres Warm-up. Selbst ein Polizist zückte sein Handy und filmte einen Song fürs private Erinnerungsarchiv – wenn Musik tief geht, verliert sogar der Dienst seine Schwere. Ein Set wie ein Mahlstrom: intensiv, kompromisslos, voller kultiger Power – und KoЯn mittendrin als unangefochtene Hohepriester eines Genres, das sie selbst mitbegründet haben.
Am Ende wartet Arkadia
Das Beste kommt bekanntlich zum Schluss – und Rock am Ring weiß, wie man ein Finale in Szene setzt. Während andere Festivals ihre Headliner oft im Eiltempo durchkürzen, bekommt man hier das volle Paket: ein Set, das atmen darf, wachsen, sich entfalten. Und wer könnte für solch eine musikalische Entfaltung besser geeignet sein als Sleep Token – jene mysteriöse Formation, die derzeit als erfolgreichste Metalband der Welt gilt. Der Hype? Riesig. Die Erwartungen? Gigantisch. Doch zuletzt hatte sich ein leiser Zweifel eingeschlichen: Können sie dieser tonnenschweren Erwartung gerecht werden? Die Antwort kam mit dem neuen Album „Even in Arcadia“, das nicht nur musikalisch, sondern auch visuell eine neue Ära einleitet – weg von der düsteren Schwere und Eskalation von „Take Me Back to Eden“, hin zu Licht, zu Transzendenz, zu einer sakralen Zartheit, die live überwältigend Gestalt annimmt. Ein schwarzer Vorhang verhüllte die Bühne. Und dann: „Look to Windward“. Überaus sanft, fast zerbrechlich, begann Vessel zu singen. Die Sängerinnen von Espera stiegen behutsam ein – ein Moment voller Gänsehaut, gespannter Vorfreude. Als der Vorhang in einem mächtigen Breakdown zu Boden rauschte, offenbarte sich ein Bühnenbild wie aus einem Traum: mehrstöckige, modular aufgebaute Plattformen mit künstlichen Felsfassaden, gotischen Türmen, Bögen und Ranken aus rosafarbenem Blütenwerk. Es wirkte wie eine geweihte Halle – wie Arkadia selbst.
Im Bann einer anderen Realität
Sleep Token standen nicht einfach auf der Bühne – sie zelebrierten. Vessel und seine Musiker I, II, III trugen neue, schwarze Kutten mit goldenen Rändern. Ihre Masken: filigraner, edler, geheimnisvoller als je zuvor. Selbst die Livebilder auf den Screens wurden von digitalen Felsen und Blüten umrahmt. Ein Bild von nahezu heiliger Schönheit. Zu „The Offering“ setzte jener Tanz ein, der Vessel so einzigartig macht – ein körpergewordenes Ritual. Als würde die Musik selbst Besitz von ihm ergreifen, riss es ihn in ruckartigen, ekstatischen Bewegungen über die Bühne, jedes Zucken, jede Geste Ausdruck tiefster Hingabe. Es war, als würde sich der Klang durch seine Adern pressen – und sein Körper gehorchte. Was mir dabei keine Ruhe ließ: Über beinahe die gesamte Spieldauer des Sets rieselte seicht das Konfetti herab – leise, stetig, als wäre es Teil eines höheren Plans. Wie nur war das möglich? Die visuelle Magie von „Even in Arcadia“ war allgegenwärtig – so detailverliebt, so durchdacht. Für den Song „Emergence“ erklomm Vessel die mittlere Plattform, wo ein Klavier thronte wie ein Altar. Er setzte sich, begann zu spielen – sprachlos folgte die Menge dieser Darbietung, gewidmet ihrer Gottheit „Sleep“. Selbst der Saxofon-Part des Stückes fand seinen Weg auf die Bühne, in dem ein Spieler auf der Empore hervortrat und das Solo darbrachte. Zwischen den Songs herrschte nahezu andächtige Stille. Die Menge war wie gebannt – man hätte eine Stecknadel fallen hören können, wäre da nicht der basslastige Abriss von Brutalismus 3000 gewesen, der von der Orbit Stage herüberdrang. Ein kleiner Störfaktor inmitten einer sonst makellosen Szenerie. Ein kollektives Raunen ging durch das Publikum, als „Alkaline“ einsetzte – dieser Track besitzt live eine hypnotische Kraft, die einen vollkommen einnimmt. Und während man noch wie gebannt lauschte, verschmolz er bereits mit „Hypnosis“ – ein Übergang von betörender Perfektion, und intensiver Schönheit. Man konnte sie gar nicht daran sattsehen, wie Vessel erneut über die Bühne fegte – wie ein Schatten, der Licht geworden war.
Und plötzlich hält der Ring den Atem an
Spätestens als „Rain“ erklang, verloren sich auch die letzten Zweifel: Sleep Token haben allen Hatern auf beeindruckende Weise gezeigt, wozu sie fähig sind. Plötzlich rauschte unter dem Bandlogo ein echter Wasserfall hinab – kein Lichteffekt, keine Projektion, sondern pures, fließendes Wasser! Ungläubige Blicke, kollektives Staunen. Die Blüten an den Felsen leuchteten in kräftigen Farben, als wollten sie den Moment für immer festhalten. Man griff in dieser Nacht kaum zum Handy – zu stark war das Gefühl, Teil dieser anderen Welt zu sein. Altbekannte Songs und neues Material flossen wie zwei vereinte Ströme ineinander – und durchfluteten die Sinne. Das zarte Glockenspiel von „Caramel“ setzte ein, und als Vessel hauchte: „Stick to me like Caramel“, klebten wir in dieser Nacht unzertrennlich an Sleep Token. Der Song baute sich auf wie ein Sturm aus Emotion – und entlud sich in frenetischem Jubel. Mit der Wucht von „The Summoning“ raste die Ekstase durch die Menge, „Higher“ ließ einen sprachlos zurück, so gewaltig war der Kontrast aus Zerbrechlichkeit und Härte. Nach der sanft entschwebenden Ballade „Damocles“ hüllte sich die Bühne noch einmal in Dunkelheit. Dann, fast wie ein Erwachen: Die Screens erhellten sich, offenbarten einen stillen, leuchtenden Wald. Licht durchdrang das Dunkel, zartes Vogelgezwitscher setzte ein – als würde Arkadia selbst den Atem anhalten. Zu „Take Me Back to Eden“ fiel der Wasserfall ein letztes Mal herab, Konfetti tanzte wie Blätter im Wind, und die schweren Gitarrenriffs trugen uns sanft hinaus aus dieser Welt. Ein Abschluss so ergreifend, dass viele einfach nur dastanden – staunend, bewegt, wortlos. Ein Konzert wie eine Offenbarung. Ein Abschied wie ein Versprechen. Und ein Moment, den man im Herzen behält, als hätte man Eden wirklich berührt. Menschen lagen sich in den Armen. Inmitten der Nacht stand man auf dem riesigen Gelände. Allmählich herrschte Aufbruchsstimmung und doch wollte man in dem Moment am liebsten die ganze Welt umarmen!
Nachhall und zündender Ausblick
Mittlerweile liegt das Festival ein paar Tage zurück – und während ich diese Zeilen schreibe, denke ich nur: „Take Me Back to Eden!“ Doch so heißt es nun wieder: ein Jahr warten, bis Rock am Ring seine Pforten erneut öffnet. Noch vor Ort wurde jedoch eine echte Sensation verkündet: Linkin Park kehren 2026 endlich zurück an den Ring. Der Vorverkauf ist bereits gestartet – und hat direkt Rekorde gebrochen: Über 50.000 Tickets sind bereits verkauft. Auch wir sind längst wieder voller Vorfreude – wir sehen uns 2026, Rock am Ring!
Aftermovie:
Aufgrund von Foto-Restriktionen war es uns leider nicht möglich, Bilder von KoЯn und Sleep Token für Dich einzufangen.
Text: Nadine Kloppert
Photos: Michael Gamon
Photo: Lorna Shore: Sandro Griesbach
Photo: I See Stars: Nadine Kloppert
Teil 1 verpasst? Kein Problem: