So klingt das neue THE-CURE-Album
THE CURE – „Songs of a Lost World“
Album (Universal)
VÖ: vorauss. 01. November 2024
The Cure veröffentlichen mit „Songs of a Lost World“ eines der besten Alben ihrer fast 50-jährigen Karriere. Lang und steinig war der Weg bis zum Release, der allein einen ganzen Artikel füllen könnte. 16 Jahre sind seit dem letzten Studioalbum verstrichen. 2008 war nicht nur die Welt, sondern auch die Band eine andere: MySpace war das große Ding, Facebook und YouTube steckten in den Kinderschuhen und Angela Merkel regierte erst seit drei Jahren.
Dunkel, traurig und wütend?
In all der Zeit tourten The Cure mehrfach um die Welt, spielten in ausverkauften Arenen und als Headliner auf den größten Festivals. Ab und zu spielten sie unveröffentlichte Stücke und ab 2022 mit „Alone“, „And Nothing Is Forever“, „A Fragile Thing“, „I Can Never Say Goodbye“ und „Endsong“ auch Material des jetzt erschienen Albums. Schon damals wurde klar, dass „Songs of a Lost World“ ein düsteres, melancholisches Album werden würde, weit ab von jenen Pop-Songs, die sie in den Achtzigern und frühen Neunzigern zu Stars auch abseits der Alternativen-Szenen gemacht haben. Auf dem fertigen Album finden sich nun acht dunkle, traurige, teils wütende Songs über die großen allgemeingültigen Themen, die Liebe und den Tod. Gerade letzteres spielte im Leben von Frontman Robert Smith eine wichtige Rolle, verlor er doch innerhalb weniger Jahre beide Eltern, seinen Bruder, Verwandte und Bekannte, was sich auch in Musik und Texten widerspiegelt. In gewisser Weise waren The Cure immer dann am eindrucksvollsten, wenn ihre Alben der eigenen Katharsis dienten. So war es 1982 beim düsteren, kalten Monolithen „Pornography““, 1989 bei ihrem allgemein als Meisterwerk anerkannten Album „Disintegration“ und so ist es auch auf „Songs of a Lost World“.
(K)eine Nostalgie?
Wie auf „Pornography“ dröhnen die Drums Hall geschwängert und wie auf „Disintegration“ geht der Soundmix in die Breite, ist mehr Cinemascope als Pop. Das Tempo bleibt meist getragen und die typischen The-Cure-Harmonien, -Melodien und -Arrangements durchziehen die Songs. Trotzdem ist „Songs of a Lost World“ keine Nostalgie-Schau. Der Minimalismus der Anfangszeit fehlt komplett. Das neue Werk ist härter und moderner produziert, der Sound oft so dicht, dass er zu implodieren droht und die Hörerinnen und Hörer fast erdrückt.
„Alone“
Der Opener „Alone“ fügt sich in eine Reihe fantastischer Eröffnungsstücke der Vergangenheit ein. Dichte Keyboard-Harmonien, ein donnernder, unglaublich lauter Bass, die unverkennbaren perlenden Bass-VI-Gitarrenmelodien. Nach dreieinhalb Minuten setzt Smiths kaum gealterte Stimme ein: „This is the end of every song that we sing.“ Ob dem wirklich so ist, erfahren wir erst 45 Minuten später. Vielleicht.
„And Nothing Is Forever“
Mit „And Nothing Is Forever“ folgt die erste, aber nicht letzte, emotionale Ballade über den Tod und Abschied eines wichtigen Menschen, getragen von Piano, Streichern und den vertrauten Cure-Gitarren.
„A Fragile Thing“
… der einzige Pop-Moment, weckt Erinnerungen an die Alben „Wish“ und „Bloodflowers“, ist aber klar im Hier und Jetzt verortet.
„Warsong“
… raubte mir beim ersten Anhören den Atem. Seit „Pornography“ waren The Cure nicht mehr so düster, hart und ja, auch politisch. In seiner Verzweiflung und Gewalt ist „Warsong“ auf dem gleichen Level wie „100 Years“ und „Cold“ und lässt alle Grufti-Herzen höherschlagen. Versprochen.
„Drone: No Drone“
… erinnert mit seinem Mid-Tempo-Groove an die rockigen Stücke von „Bloodflowers“ und lockert die Stimmung zur Mitte des Albums auf. Dieser Song braucht eventuell einige Durchläufe, bis er zündet. Hat er einen aber erst mal gepackt, lässt er einen nicht mehr so schnell los. Thematisch geht es in „Drone: No Drone“ um Robert Smith versus die moderne Welt.
„I Can Never Say Goodbye“
Auf „I Can Never Say Goodbye“ verknüpft Smith den Tod seines Bruders geschickt mit Ray Bradburys Roman „Something Wicked This Way Comes“ (auf Deutsch: „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“). Man spürt, wie persönlich dieser Song ist.
„All I Ever Am“
… ist neben „A Fragile Thing“ von den Harmonien her der zugänglichste Song des Albums, inklusive wunderbarem Bass-Solo von Simon Gallup. Im Refrain liefert Smith eine der besten Gesangsmelodien des Albums ab.
„Endsong“
Den krönenden Abschluss macht „Endsong“. Ein 10-minütiges Monster aus wabernden Keyboards, dröhnendem Bass, schleppenden Rhythmen und kreischenden Gitarren. Hier zeigt sich vor allem, welche Bereicherung Reeves Gabrels für die Band geworden ist, ohne den das Album ein anderes wäre. Der Gitarrist, der in den Neunzigern so was wie David Bowies Sidekick war, ist zwar schon seit 2012 Mitglied von The Cure, aber erstmalig auch auf Studioaufnahmen zu hören.
Abgesang?
Von offizieller Seite ist bestätigt, dass insgesamt 26 Songs für das Album aufgenommen wurden. Ob die restlichen jemals erscheinen, weiß nur Smith selbst. Sollte dies aber die letzte Platte von The Cure sein, wäre es ein gelungener Abschluss einer der faszinierendsten Karrieren der Musikgeschichte. „Songs of a Lost World“ zeigt sie im Herbst ihres Schaffens noch mal in Höchstform und wird sehr viele Menschen sehr glücklich machen. Und was kann es Schöneres in Zeiten wie diesen geben? The Cure is back and I am home.
Ashley Dayour
Sieh Dir das Lyric-Video zu „A Fragile Thing“ hier an:
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