WALT DISCO über Katharsis, Veränderungen und Anderssein

„… es fühlte sich etwas unheilvoll an.“

2 Fakten:
Duran Duran, Simple Minds und OMD haben Walt Disco bereits supportet.
• Auf dem diesjährigen WGT spielen die gebürtigen Schotten am 20. Mai 2024.

Prägende Alben:
• Sufjan Steven – „Illiniois“ (2005)
• Scott Walker – „Scott 3“ (1969)
• Björk – „Post“

Mit „Warping“ veröffentlichen Walt Disco am 14. Juni 2024 ihr zweites Album. Ihren Stil zu  beschreiben, ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit. Demnächst wirst Du hier eine Review lesen, in dem die Einflüsse David Bowies und The Cures besprochen werden. Aber auch das gibt die Melancholie, die zwischen Siebzigerjahre-Vibe und Post Punk schwebt, nur ansatzweise wider. Walt Disco muss man selbst gehört haben. Wir sprechen mit Jocelyn (Gesang) und Jack (Songwriting) über ihren diesjährigen Auftritt beim Wave-Gotik-Treffen, persönliches Songwriting und vieles mehr.

Außenseiter?
Orkus: Nun folgt bald euer Auftritt beim Wave-Gotik-Treffen. Was verbindet euch mit der Gothic-Szene?
Jocelyn Si: Die großen Pop-Acts der Achtziger- und Neunzigerjahre wie The Cure, Depeche Mode, Nine Inch Nails, die für die Gothic-Szene ausschlaggebend waren, waren allesamt großartige Autoren und Künstler. Sie haben uns immer kreativ und darstellerisch inspiriert.
Jack Martin: Das soziale Ethos, ein wenig am Rande zu stehen, hat uns schon immer angesprochen, wir haben uns musikalisch und persönlich immer irgendwie als Ausgestoßene gefühlt. Wir fühlen uns mit der Gothic-Bewegung verwandt.

Tiefgründiges?
O: Mit „Jocelyn“ habt ihr einen besonders persönlichen Song geschrieben, der mehr oder weniger ein Traumgespräch zwischen dir, Jocelyn, und deiner Mutter ist. Wie ist dieses Bedürfnis entstanden, diesen Text zu schreiben?
JS: Es fühlte sich kathartisch an, nehme ich an. Und weil ich ihn mit Jack geschrieben habe, war es schön, einen Grund zu haben, mit jemandem über diese Gefühle zu sprechen.
JM: Es war ein besonderer Song, den wir zu zweit geschrieben haben. Wie Jocelyn sagt, war es, als hätten wir ein persönliches Gespräch miteinander geführt, auf eine nicht ganz so direkte Art und Weise, aber es fühlte sich trotzdem so an, als würde es uns näher bringen und zu etwas Tiefgründigem führen.

Erschöpfte Märchenwelt?
O: Zu dem Song gibt es auch einen faszinierenden Videoclip. Dein Kleid ist fantastisch und erinnert mich an die 1920er Jahre. Wie kam es zu der Wahl des Kostüms und welche Erfahrungen hast du bei den Dreharbeiten gemacht?
JS: Das Kostüm war inspiriert von waldtierähnlichen Überlieferungen und Märchen. Das Konzept des Videos und des Songs besteht darin, ein Mädchen vom Land zu sein, das mit der Stadt leicht überfordert ist, daher der Schrottplatz und die Straßen der Stadt im Video. Die Dreharbeiten für das Video waren ziemlich kalt und anstrengend, da wir an einem freien Tag unserer Tour mit OMD auf den Einbruch der Dunkelheit warten mussten, so dass wir ziemlich erschöpft waren.

Sieh Dir den Clip hier an:

Nicht am richtigen Platz?
O: Wie ist die Idee zu dem ebenfalls sehr sehenswerten Clip „You Make Me Feel So Dumb“ entstanden?
JS: Das Video ist ziemlich direkt von dem Song abgeleitet, in dem es darum geht, dass man sich bei Firmenveranstaltungen und dergleichen deplatziert fühlt. Wir wissen, wie viele Leute sich damit identifizieren können, deshalb wollten wir das Konzept des Songs im Video nicht durcheinander bringen, sondern es einfach auf humorvolle Art und Weise rüberbringen.

O: Das Video beginnt damit, dass eine Kassette in einen Walkman eingelegt wird. Was verbindet ihr mit Kassetten?
JS: Wahrscheinlich – und so wird es wohl auch vielen anderen gehen – den Film „Ferris macht blau“, weil er diesen Walkman im Film hat, oder?
JM: Sie erinnern mich daran, wie ich mit dem Ford Focus meiner Mutter zur Grundschule gefahren wurde, der ein Kassettendeck auf dem Armaturenbrett hatte.

Mach Dir selbst ein Bild:

Gruselige Vorahnungen?
O: Generell ist „The Warping“ sehr autobiografisch. War das eine gewisse Überwindung oder eher eine Art von Katharsis?
JS: Ich würde sagen, das Schreiben war kathartisch und wir haben bestimmte Gefühle sehr gut kontextualisiert, aber es fühlte sich etwas unheilvoll an, es Anfang 2023 aufzunehmen. Es fühlte sich wie eine Vorahnung an, da wir viele der Probleme, über die wir auf dem Album geschrieben haben, in jenem Jahr noch stärker als je zuvor erleben mussten. Das fühlte sich irgendwie gruselig an, aber es war auch angenehm, diese Songs immer wieder anhören zu können.
JM: Es ist immer ein kleiner Vertrauensvorschuss, wenn man sehr persönliche Songs schreibt, und je weniger man versucht, die Tatsache zu verbergen, dass man Dinge über sich selbst zugibt, desto schwieriger kann es sein, das durchzuziehen. Aber wir haben den Sprung als Autoren gewagt und viel gelernt, es hat uns geholfen, kreativ zu wachsen und uns insgesamt mutiger gemacht.

Die Aufnahmen – etwas zum Reden haben?
O: „The Warping“ ist an den unterschiedlichsten Orten entstanden. Inwieweit hat das die Songs beeinflusst?
JS: Wir haben uns auf jedes Studio und den Sound, den es erzeugen konnte, eingelassen. Bei den Demos konnten wir uns ein Bild davon machen, wie jeder Song sein würde, und uns auf die Details, die Parts und die Produktion konzentriert. Als wir dann im Workshop mit Chris McCrory in die Vorproduktion gingen, begannen wir, den Songs einen analogen Charakter zu geben, indem wir sie durch Tonbandgeräte und teure Vorverstärker, Kompressoren und Reverbs schickten. In The Vale, einem sehr coolen, größeren Studio im Stil der Siebzigerjahre in einem umgebauten Herrenhaus, haben wir dann den ganzen Tag gearbeitet, geschlafen und uns in dieser Umgebung geprobt. Dort haben wir der Musik eine sehr starke Bandidentität gegeben, die wir vorher nicht hatten. Wir konnten wirklich mit der Technik als kreatives Werkzeug experimentieren, jedes Mikrofon und jede Mikrofonposition bot neue Möglichkeiten. Das Vintage-Equipment, zu dem wir Zugang hatten, gab uns Aufschluss darüber, wie wir an bestimmte Dinge herangehen würden, was wir zuvor beim Homerecording noch nicht erlebt hatten.
JM: An Orten wie Austin, Texas und Los Angeles zu sein, beeinflusste das Schreiben bestimmter Songs. Die räumliche Entfernung von zu Hause beeinflusste „Pearl“, und die Erfahrung, an diesen Orten Kontakte zu knüpfen, beeinflusste „You Make Me Feel So Dumb“. Zu reisen, neue Orte und Menschen kennenzulernen, wie wir es mit der Band tun, war schon immer ein guter Weg, um die Quelle der Einflüsse zu erweitern. Es gibt einem etwas, worüber man reden kann.

Heimat?
O: Ihr habt aber auch mit schottischen Musikern gearbeitet, oder?
JS: Zurück nach Schottland zu kommen, war eine wirklich schöne Art und Weise, den Reichtum schottischer Talente zu nutzen, wir hatten einen großartigen schottischen Tontechniker, Jamie Savage, der mit uns arbeitete. Wir haben mit Krayg Miqman zusammengearbeitet, der sich um die Arrangements und die orchestralen Elemente gekümmert hat. Die Streicher, Holz- und Blechbläser, die wir einsetzten, waren allesamt hervorragende schottische Musiker oder arbeiteten/studierten in Schottland. Das hat einige der keltischen Aromen in den Stücken geprägt.
JM: Obwohl dieses Album an mehr Orten entstanden ist als alle unsere früheren Werke, ist es die Verbindung zur Heimat, die alles zusammenhält.

Glück, Sehnsucht, Wut und … Duschen?
O: Gibt es eine bestimmte Stimmung oder Umgebung, die euer Songwriting inspiriert?
JM: Alles, was mich stark genug berührt, versuche ich schriftlich auszudrücken. Große Glücksgefühle, Sehnsucht, Ärger oder Wut spornen mich beim Schreiben an.
JS: Ich habe das Gefühl, dass ich immer in der Stimmung bin zu schreiben, wenn ich aus der Dusche komme. Die Dusche fühlt sich wie ein Neuanfang an, und ich bin mir sicher, dass viele Leute sich damit identifizieren können, wenn sie unter der Dusche über tiefe Gedanken nachdenken.

Veränderungen
O: Wie kam es zu dem Albumtitel und dem Song „The Warping“?
Beide: Das Wort „Warping“ hat sowohl skurrile als auch beunruhigende Konnotationen, die Veränderung beschreiben. Wir verändern uns selbst, unsere Musik, die Art und Weise, wie sich unsere Karrieren, Leben und Identitäten verändert haben. Diese Metamorphose ist ein großes Thema auf der Platte. Der Titeltrack befasst sich im Großen und Ganzen mit diesen Themen. Sobald wir den Titel dafür hatten, fühlte es sich sofort wie ein großartiges Wort an, um das Album zu umschreiben.

O: „The Warping“ ist euer zweites Album. Wie hat sich die Arbeit daran im Vergleich zum ersten Album verändert?
JS: Auch wenn die Ambitionen vielleicht vergleichbar sind, ist es doch sehr, sehr anders. Es ist nicht das, was Leute, die uns nur von „Unlearning“ kennen, erwarten würden.
JM: Wir versuchen immer, etwas zu machen, das uns begeistert. Wir alle hören sehr unterschiedliche Musik, und unser Geschmack ändert sich mit der Zeit. Wir werden immer das machen, was uns im Moment am meisten begeistert. Wenn das große Veränderungen bedeutet, dann wird das auch passieren.

Weinende Witwen?
O: Besonders beeindruckend ist auch „Weeping Willow“. Wie können wir uns die Arbeit daran vorstellen?
JS: Die erzählerische Inspiration war, dass ein Mitglied der Band uns verlassen hat. Wir hatten ein Treffen und beschlossen, dass wir nicht aufhören wollen, dass es sich lohnt, an dieser Band festzuhalten. Wir hatten immer noch das Gefühl, dass wir etwas zu sagen haben. Nach diesem Treffen gingen wir ins Studio, um den Song zu schreiben.
JM: In seinem Arrangement wurde es zu dieser epischen, aber leicht beängstigenden Welt, es klingt fast wie eine warnende Geschichte, die Seeleute auf dem einsamen Meer miteinander teilen würden.
JS: Wir haben diese Art von keltischer Horrorgeschichte mit der Figur der Banshee aufgegriffen. Die Bildsprache war sehr inspiriert von dem Film „Das Geheimnis der verwunschenen Höhle“.

O: Was war die größte Herausforderung?
JS: Während des Aufnahmeprozesses gab es familienbedingte medizinische Notfälle, bandbedingte medizinische Notfälle, logistische Albträume und wie immer Probleme mit dem Geld. Aber letztendlich hat uns das stärker gemacht.

Claudia Zinn-Zinnenburg
Photos: Izzy Leach

Walt Disco - The Warping

WALT DISCO live erleben:
20. Mai 2024 DE-Leipzig, WGT
10. November 2024 UK-Leeds, The Wardrobe
11. November 2024 UK-Manchester, Yes Pink ROom
13. November 2024 UK-Nottingham, Bodega
14. November 2024 UK-Birmingham, Institute 3
15. November 2024 UK-Bristol, Rough Trade
16. November 2024 UK-Brighton, Dust
18. November 2024 DE-Hamburg, Nachtspeicher
19. November 2024 DE-Köln, Blue Shell
21. November 2024 DE-Frankfurt, Brotfabrik
22. November 2024 DE-Berlin, Pracktwerk
23. November 2024 NL-Amsterdam, Bitterzoet
26. November 2024 FR-Paris, Hasard Ludique
28. November 2024 UK-London, Bush Hall
29. November 2024 UK-Newcastle
30. November 2024 UK-Glasgow

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