Depeche Mode – „Memento Mori“

Zum Sterben schön
Depeche Mode

„Memento Mori“


Album (Columbia/ Sony Music)
VÖ: 24.03.2023

Mit Album Nummer 15 haben sich für Depeche Mode große Veränderungen ergeben – nach dem plötzlichen Tod von Andy Fletcher sind lediglich noch Dave Gahan und Martin Gore von ursprünglich vier Bandmitgliedern übrig. Die unerwarteten Ereignisse hört man „Memento Mori“ an, auch wenn die Songs bereits vor dem Tode Fletchers komponiert wurden.

Den Auftakt bildet „My Cosmos Is Mine“, ein Klangexperiment, wie man es schon länger nicht mehr von Depeche Mode gehört hat. Dave Gahans Stimmt eschwebt über sperrigen Klängen in diesem unerwarteten Opener, in dem Martin Gore in dem Break ordentlich dagegen hält. Ein Song, der beim ersten Hören nicht so recht zu „Memento Mori“ passen mag, so vielschichtig ist er. Wenn er dann aber im Ohr ist, kommt er da nicht mehr so schnell heraus …

Bereits die ersten Takte von „Wagging Tongue“ hingegen geben die Marschrichtung für „Memento Mori“ vor. Die Synthesizer machen den Salto rückwärts in die Achtzigerjahre, klingen aber glasklar und modern. Langsam baut sich das Stück auf, präsentiert sich sogar dezent tanzbar. Die Stimmen von Gahan und Gore ergänzen sich so wunderbar wie in dem gemeinsamen Songwriting für diesen Song. So kann man einem weiteren Engel fast schon beschwingt beim Sterben zusehen.  

„Ghosts Again“ war das Stück, auf das Fans nach den ersten Snippets in der Pressekonferenz vom Oktober 2022 hingefiebert haben. Und das zu Recht. Hier stimmt einfach alles vom ersten bis zum letzten Takt. Depeche Mode wussten definitiv, warum sie diesen Song als erste Single und Quasi-Soundtrack für das Album ausgewählt haben. Der melancholische Text steht im krassen Gegensatz zum leichten Beat, der den Song nach vorne treibt und ihm eine fröhliche Grundstimmung verleiht. Die ersten Live-Auftritte haben gezeigt: „Ghosts Again“ wird auf der Tour bestimmt ein Highlight in der Live-Umsetzung werden.

Lieber „James Bond“ oder Western? „Don’t Say You Love Me“ könnte den Soundtrack für einen tragischen Heldenfilm bilden. Der Text spielt mit Gegensätzen, Gahans Stimme entfaltet über den Gitarrenriffs ihre volle Kraft. Epische Streicher gesellen sich hinzu und sorgen für Gänsehautmomente. Da dürften wir definitiv gespannt darauf sein, welcher Filmschaffende dieses Lied zuerst für sich entdeckt, um bittersüße Momente zu unterlegen.

„My Favourite Stranger“ ist ein Zwiegespräch vor dem Spiegel. Der Text erzählt davon, dass wir unserer Gesellschaft selten unser wahres Ich zeigen, sondern als der perfekte Fremde durch den Alltag gehen. Klagende Gitarrenriffs sind mit einem stampfenden Bass unterlegt, während Martins und Daves Stimmen eine perfekte Harmonie bilden.

Die klassische Gore-Ballade darf auf keinem Depeche-Mode-Album fehlen – und er liefert sie mit „Soul with Me“. Klagend besingt der kreative Blondschopf das Lebensende und arbeitet sich dabei von seiner Tenorstimme bis hin in tiefere Bassregionen. Musikalisch präsentiert der Song sphärisch mit einem dominanten, schleppenden Drumrhythmus, der auf die Stimmung des Lieds perfekt passt. Eine kleine Atempause, wie man sie von Martin Gore gewohnt ist, und die auch im Live-Set spannend werden dürfte.

Beide haben ihre Erfahrungen mit Sucht-Erkrankungen gemacht und so handelt „Caroline’s Monkey“ von Drogensucht. Musikalisch sind die Achtzigerjahre hier wieder deutlich hörbar, die Synthesizer bilden Sequenzen, die sich hartnäckig in den Gehörgang bohren. Dave Gahan hat für den Song eine rotzigere Variante seiner Stimme herausgeholt, die er erst mit den Parts, die er mit Gore gemeinsam singt, wieder in Zaum hält. „Fading’s better than failing. Falling’s better than feeling. Folding’s better than losing. Fixing’s better than healing“, singen die beiden. Und macht den Fans schmerzlich bewusst, dass sie wissen, was das bedeuten kann …

Mit „Before We Drown“ präsentiert Dave Gahan seine Zusammenarbeit mit Peter Gordeno und Christian Eigner, die Depeche Mode live unterstützen. „We have to move forward, before we drown“ heißt es in dem Song, mit dem Gahan seine Weiterentwicklung in den letzten Jahren beweist. Er ist als Songwriter gereift – und nicht nur dabei. Ein nachdenklicher Blick auf das, was war. Aber mit der Zuversicht, dass es immer weiter geht!

Es wummert in „People Are Good“. – Die Erinnerung an Alben wie „Construction Time Again“ oder „Some Great Reward“ ist umgehend wieder da. Die Wurzeln, aber auch die musikalischen Einflüsse der Band sind in diesem Song hörbar. „People Are Good“ ist ein Song, der direkt ins Ohr geht und an vergangene Disco-Zeiten erinnert. Alles wird gut, heißt es in dem Stück. Und genau so wird auch alles gut!
 
„Always You“ nimmt das Tempo wieder etwas zurück. Gahan holt alles aus der Gefühlskiste heraus und schwingt sich mühelos in die Kopfstimme. Der Refrain gibt sich synkopisch und zeigt, dass gefühlvolle Songs nicht immer rein getragen und sanft sein müssen.

Wem bis jetzt noch nicht bewusst geworden ist, dass wir mehr Bass brauchen, wird sich dessen spätestens bei „Never Let Me Go“ gewahr. Ein eingängiges Bass-Riff liegt unter kreischenden Gitarrenklängen, die von verspielten Synthie-Klängen ergänzt werden. Dave präsentiert den Refrain kraftvoll mit der Forderung, einen niemals gehen zu lassen.

Und da ist es auch schon: Mit „Speak to Me“ geht „Memento Mori“ zu Ende. Schwebende Klänge tragen Gahans sanfte Stimme und laden zum Träumen ein. Es scheint, als würde man durch das All schweben mit dem Song und sich auf eine außergewöhnliche Reise begeben. Zum Schluss baut sich das Stück nochmals gewaltig auf und bekommt einen buchstäblichen Pulsschlag – damit wird klar, warum Depeche Mode diesen Song als Intro für die Tour gewählt haben. Besser kann man Spannung nicht entfalten.
 
„Memento Mori“ wirkt mitunter wie ein Schwanengesang, geht aber trotz Melancholie in den richtigen Momenten nach vorn und zeigt die persönliche Entwicklung von Dave Gahan und Martin Gore. Die sechs Jahre Warten haben sich gelohnt, jetzt ist es an der Zeit, den einen oder anderen Song auch live zu hören!

Katrin Hemmerling

Recorded in: Electric Ladyboy (Santa Barbara, CA) and Shangri-La (Malibu, CA)
Produced by: James Ford
Mastered by: Matt Colton

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