MYRNA LOY im Interview (2/2): „Es war gelebter Rock ’n Roll mit viel Alkohol, wenig Schlaf und ziemlich wild …“

Vor 35 Jahren veröffentlichten Myrna Loy ihr Debütalbum „I Press My Lips in Your Inner Temple“. Nun zieht es mit seiner erweiterten, remasterten Version auch in die digitale Welt ein. Nachdem es jahrzehntelang still um die Band war, die sich in keine Genregrenzen pressen lässt – aber irgendwo zwischen (Dark) Wave, Ambient und poppigem Rock anzusiedeln ist –, führen wir nun ein exklusives Interview mit Sänger Victor. Im ersten Teil sprachen wir bereits über die Bedeutung des Titels und beschäftigten uns mit der Entstehung des Albums. Heute schwelgen wir ein bisschen in Erinnerungen und wagen einen Blick in die Zukunft.
Rock’n‘Roll
Orkus: Welche Erinnerungen kommen dir in den Sinn, wenn du an die Live-Aufnahmen von 1988/89 denkst, die nun auch erstmals veröffentlicht werden?
Victor D: Wir waren 1989 das erste Mal auf Deutschland-Tour. Wir waren jung, voller Energie, richtige Adrenalin-Junkies. Es war gelebter Rock ’n Roll mit viel Alkohol, wenig Schlaf und ziemlich wild, wobei ich als Sänger nicht viel Alkohol getrunken habe, da mir ansonsten bei dem anspruchsvollen Repertoire nach dem dritten Auftritt spätestens die Stimme versagt hätte. Vor allem „Decamerone“ war für mich ausschlaggebend, mich zu disziplinieren.
Erinnerungen
O: Ihr wart ja auch Support von Anne Clark und And Also the Trees. Was sind deine Lieblingserinnerungen aus dieser Zeit?
VD: And Also the Trees haben der Band beigebracht, „Radpido“ zu mixen (Tequila mit Bitter Lemon, geschüttelt und auf Ex getrunken). Wir haben uns damit immer Mut gemacht (ähnlich wie beim Mannschaftssport haben wir uns „stark“ gebrüllt) und Energie für die Auftritte verschafft. Da ich keinen Alkohol trinken konnte, habe ich mich dann immer in einen anderen Raum verzogen, um mich mental vorzubereiten. Anne Clark haben wir am Vorabend des Auftritts mit ihr unseren Proberaum zur Verfügung gestellt, damit sie nochmal mit ihrer Band proben konnte. Das war eine sehr nette Begegnung.
Mauerfall
O: Was kommt dir generell in den Kopf, wenn du an „damals“ zurückdenkst?
VD: Die späten Achtziger waren sehr spannend, da sich die Musik durch Techno und Grunge plötzlich sehr schnell veränderte. Durch den Mauerfall hatten wir die Gelegenheit, in den neuen Bundesländern ein paar Gigs zu spielen. Dies war überaus lustig, da wir zwar die gleiche Sprache sprachen, aber aufgrund unserer unterschiedlichen Sozialisation vieles komplett unterschiedlich interpretierten. Auch die Dialekte waren schon teilweise bizarr: Als wir zum Beispiel in Dresden spielten, brüllten nach dem Konzert die Zuschauer mit vereinten Kräften im tiefsten Sächsisch: „Zugabää… Zugabää.“
Nostalgie
O: Inwiefern war die (Musik?)Welt Ende der Achtziger/Anfang der Neunziger eine ganz andere als sie es heute ist?
VD: Die Tatsache, ein großes Platten-Cover zu produzieren, eine Artwork-Abteilung zu beschäftigen und die eigene Platte dann im Geschäft zu finden und anzufassen war schon besonders. Bei WOM (damals eine Plattengeschäft-Kette in Deutschland) beispielsweise wurde aufwändig dekoriert, wenn man eine Veröffentlichung hatte.
Im Rauch ersticken?
O: Was vermisst du aus der Vergangenheit so gar nicht?
VD: Die Tatsache, dass ein Bandprojekt viele Nerven kostet und man vielen zwielichtigen Personen begegnet, die oft auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Teilweise waren die Styles auch furchtbar. Den Zigarettenrauch vermisse ich gar nicht!! In den meisten Clubs wurde geraucht, bis man im Nebel versank. In diesen Räumen zu singen war oftmals wirklich kein Vergnügen.
Ohne Netz und doppeltem Boden
O: Auch wenn ihr das nicht offiziell bestätigt habt, hat sich Myrna Loy 1994 aufgelöst. Oder wurde stillgelegt. Wie kam es dazu?
VD: Es gab keinen bestimmten Anlass oder Grund, warum die Band sich auflöste. Dies war mehr ein Prozess, der durch viele Veränderungen hervorgerufen wurde, die parallel abliefen: Verschiebung der Lebensschwerpunkte wie Studienabschluss, Prüfungen, unterschiedliche Lebensperspektiven etc. Nach dem dritten Album, das keiner von uns so richtig gelungen fand, musste eigentlich jeder für sich selbst beantworten: Habe ich das Selbstverständnis eines Künstlers? Bin ich bereit, nun auch nach dem Studium Musik als meinen Lebensinhalt zu sehen? Gehe ich das Risiko ein, vielleicht nach dem vierten Album keinen Plattenvertrag mehr zu bekommen? Ich glaube, allen wurde Schritt für Schritt bewusst, dass wir von der Musik nicht leben werden können und keiner von uns wollte den letzten, vielleicht entscheidenden Schritt tun, die Manege des Künstlers ohne Auffangnetz zu betreten. Es war eine sehr spannende Zeit in unserer Jugend mit viel Adrenalin, Anerkennung, Niederlagen, Ausschweifungen, einzigartigen Erfahrungen (vor 30.000 Leuten zu spielen) und ich denke, keiner von uns möchte diese intensive Zeit missen; aber fürs ganze Leben, denke ich, hätte es nicht gereicht!
O: Hast du diese Entscheidung manchmal bereut?
VD: Nein, wir sind alle überzeugt, zum richtigen Zeitpunkt aufgehört zu haben.
Gegenwart
O: Was hat sich in der Zwischenzeit bei euch getan? Habt ihr noch Kontakt zueinander? Ist einer von euch der Musik treu geblieben, oder hat jeder einen ganz anderen Lebensweg eingeschlagen?
VD: Wir haben unterschiedlichste berufliche Wege eingeschlagen und hatten untereinander nur sporadisch Kontakt. Freundschaften, die vor der Bandgründung eigentlich schon bestanden, sind auch geblieben. Ich bin nach wie vor mit Mikele eng befreundet, wir haben nie den Kontakt verloren und besuchen uns regelmäßig. Cord und Alex sind weiterhin eng befreundet und sehen sich auch häufiger. Aufgrund des Jubiläums von „I Put My Lips in Your Inner Temple“ ist der Kontakt allerdings momentan wieder enger. Eine gute Sache hat die Veröffentlichung auch noch: Wir haben uns vorgenommen, dass wir uns jedes Jahr einmal im Sommer bei Mikele treffen, und uns abends am Feuer mit einem guten Wein die alten Bänder anhören und quatschen. Mikele ist übrigens der einzige, der noch aktiv Musik macht und nach der Zeit mit Myrna Loy auch noch Platten veröffentlicht hat.
O: Eine Art Re-Union ist aber wohl nicht geplant, oder doch? Gibt es eine Zukunft für Myrna Loy?
VD: Ich denke, unsere Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt. Wir werden noch voneinander hören.
Claudia Zinn-Zinnenburg
Line-up:
Victor D. – Gesang
Mikele – Gitarre
Cord D. – Bass
Alex – Keybords, Sampler
Lothar Loy – Schlagzeug
Höre „I Press My Lips in Your Inner Temple“ auf Spotify an. Eine Review kannst Du hier nachlesen.
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