So war es beim NCN Festival (1/3)

NCN Festival 05. September bis 07. September 2025 in Deutzen

Wenn der Wald tanzt: Das NCN 2025 in Deutzen

Es gibt Orte, an denen die Dunkelheit nicht bedrohlich ist, sondern heilig. Deutzen ist so ein Ort. Jedes Jahr verwandelt sich der kleine Kulturpark nahe Leipzig Anfang September in ein Refugium für Seelen, die zwischen Melancholie und Maschinenpuls zu Hause sind. Das NCN – Nocturnal Culture Night – ist längst mehr als ein Festival. Es ist ein Ritual. Seit 2005 zieht es jene an, die lieber Schwarz tragen als Sonnenschutz, die zwischen Nebel und Neon ihr Gleichgewicht finden und die in der Musik Trost und Trotz zugleich hören. 2025 feierte das NCN seine 20. Ausgabe – ein Jubiläum, das man nicht mit Feuerwerk, sondern mit Haltung beging. Keine laute Selbstbeweihräucherung, sondern ein stilles, stolzes Nicken in Richtung all derer, die dieses Festival groß gemacht haben: die Szene selbst. Die Tänzer im Staub. Die Träumer im Schatten.

Ort, Licht, Klang – eine Landschaft aus Schatten
Der Kulturpark Deutzen bleibt eine Kulisse, die ihresgleichen sucht. Zwischen Bäumen, alten Mauern und einem Hauch von Endzeitästhetik entfaltet sich eine Atmosphäre, die irgendwo zwischen Clubnacht und Märchenwald schwebt. Das Licht ist kein Dekor – es erzählt Geschichten, die wie Pulsadern durch die Nacht ziehen.

Das Publikum? Eine Familie aus Fremden. Friedlich, respektvoll, eigenwillig. Schwarze Silhouetten, die tanzen, lachen, sich umarmen, während irgendwo zwischen zwei Bühnen jemand still eine Träne verdrückt. Hier ist nichts aufgesetzt. Keine Attitüde. Nur echte Liebe zur Musik – zu unserer Musik. Die Mischung aus Industrial, Dark Wave, Synthpop, EBM, Post-Punk und Neoklassik sorgt für eine Dramaturgie, die nie gleichförmig ist. Jeder Tag klingt anders, fühlt sich anders an. Und doch verbindet sie alle diese eine, unbeschreibliche Energie: das Gefühl, unter seinesgleichen zu sein.

Neben den zahlreichen Bands, auf die wir nun gleich im Detail eingehen, finden sich Autorenlesungen von Christian von Aster, Jessica Iser, Markus Heitz, Sascha Lange und Torsten Low. Worte zwischen den Bässen, Dunkelpoesie zwischen Beats.

Atmosphäre in Schwarz und Licht: Es ist dieser Moment, wenn die Sonne die Baumwipfel küsst und der erste Bass durch den Park rollt – dann weißt Du: Du bist angekommen. Und während die Nacht langsam alles verschluckt, was tagsüber hell war, beginnt das, wofür wir hier sind: Musik als Spiegel. Musik als Schmerz. Musik als Trost.

Tag 1 – Freitag, 05. September 2025
Erster Atemzug im Nebel
Der Freitag beginnt, wie das NCN immer beginnt – nicht mit Lärm, sondern mit Erwartung. Der Tag ist jung, und das NCN 2025 nimmt Anlauf.

Maschinen mit Haltung
Es startet mit einem Schlag ins System. Pseudokrupp Project eröffnen die Bühne mit diesem typischen, kantigen Elektro-Charme, der zwischen Wut und Klarheit schwingt. Kein Schnickschnack, keine Effekte – nur Druck, Präsenz und diese Ehrlichkeit, die an die frühen Tage der Szene erinnert. Der Bass zieht durch den Magen, die Stimme kratzt, der Rhythmus fräst sich durch den Wald. Und das Publikum? Tanzt – wie eine Einheit, die genau weiß, wofür sie hier ist.

Zwischen Zynismus und Zärtlichkeit
Leichtmatrose übernehmen – und bringen Licht in die Dunkelheit, aber kein freundliches. Es ist das Licht von Großstadtlichtern in Pfützen, das Licht nach schlaflosen Nächten. Ihre Songs sind bitter, klug, verletzlich. Texte über das Stolpern und Wiederaufstehen, über das Menschsein, das sich nicht abschaffen lässt. Die Bühne glüht in kaltem Blau, Sänger Andreas Stitz singt mit dieser Mischung aus Melancholie und Trotz, und irgendwo im Publikum steht jemand still, hört zu – und versteht.

Elektrische Erlösung
Rotersand: Ein Name, der im Line-up wie ein Versprechen klingt – und es hält. Kaum betreten sie die Bühne, kippt die Atmosphäre in pure Euphorie. Der Sound – hymnisch, warm, glasklar. Krischan Wesenberg steht am Pult wie ein Alchemist, Rascal Nikovs Stimme bricht durch den Nebel, und plötzlich sind da tausend Arme in der Luft. „Warrior of the Wasteland“, „Merging Oceans“ – jede Zeile, jeder Drop trifft. Rotersand sind keine Band, sie sind ein kollektiver Moment. Ein elektrischer Schulterschluss zwischen Gefühl und Energie.

Schrill, schräg, wunderbar anders
Als Nächstes: Tilly Electronics. Sie wirken wie die verschollenen Cousins der Szene – verspielt, schmutzig, tanzbar und mit dieser köstlichen Ironie, die nur funktioniert, wenn man’s ernst meint. Ihre Beats sind kantig, ihre Texte absurd charmant. Die beiden stehen auf der Bühne, als hätten sie gerade einen Synthesizer geklaut und beschlossen, die Welt zu retten – mit Bass, Witz und Haltung. Ein Kontrastprogramm, das funktioniert, weil es niemanden kopiert.

Legenden aus Rauch
Später steigen A Split-Second auf die Bühne – und der Wald wird zu einem Retro-Fiebertraum. Belgischer EBM, roh, treibend, kompromisslos. Der Sound klingt, als käme er direkt aus einem alten Industriegebäude – und genau deshalb funktioniert er. Jeder Beat ist Geschichte, jede Hook Erinnerung. Die Menge tanzt, aber in den Gesichtern liegt dieses stille Wissen: Das hier ist Ursprung.

Zwischen Ritual und Rausch
Placebo Effect sind nicht einfach zurück – sie sind da. Ihr Sound ist Kult, ihre Präsenz fast sakral. Nebel legt sich über die Bühne, Silhouetten flackern, das Publikum atmet langsamer. Die Songs – düster, dicht, tranceartig – lassen Raum für Emotion, ohne ihn zu erklären. Es ist diese Mischung aus Mystik und Minimalismus, die niemand sonst so beherrscht. Man sieht keine Telefone, keine Ablenkung – nur gespannte Gesichter, schwarze Silhouetten im Licht.

Goth aus Asphalt und Andacht
Zum Abschluss: Prayers. Zwei Männer, Tattoos, Leder, Glaube. Ihre Musik – eine Fusion aus Dark Wave, Chicano-Kultur und spirituellem Überdruck. Der Beat ist urban, die Haltung echt. Rafael Reyes predigt, singt, fleht – mit einer Intensität, die kaum auszuhalten ist. Hinter ihm flackern Symbole, Heilige, Schatten. Es ist, als würde die Szene einen Spiegel vorgesetzt bekommen – roh, direkt, unzensiert. Und genau deshalb wirkt es.

Nachklang
Der Freitag endet, wie er begonnen hat: ehrlich. Zwischen Zelten und Bäumen glimmen die letzten Lichter, Stimmen verschwimmen mit Nebel. Jemand lacht, jemand schweigt. Die Nacht liegt schwer über Deutzen – aber sie lebt. Und man spürt: Das war erst der Anfang.

Im nächsten Teil wird es emotional, opulent, fast cineastisch – ROME, Suicide Commando, Kite, Men Without Hats.


Text & Photos: Thomas Friedel Fuhrmann – Lass uns schreiben, bis die Worte atmen.

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