On Stage: VERSENGOLD – „Nacht der Balladen“ in Hannover
17.03.2023
Wer die Folkrocker aus Bremen schon einmal live erleben durfte, weiß um die Kraft und Kunstfähigkeit, mit der die Jungs um Frontmann und Bandgründer Malte Hoyer ihr Publikum immer wieder aufs Neue begeistern. Laute Gesänge, Tänze und Lieder über Alkohol, Liebe und die Freundschaft lassen jedes Konzert von Versengold zu einem musikalischen Fest werden. Doch wie lässt sich die ausgelassene Feierstimmung, welche die Fans so lieben, denn nun auf einen eher getragenen Abend auf einer Theaterbühne umsetzen, und dann auch noch mit „Balladen“ im Titel?
Natürlich sind die Musiker auch für ihre tiefgründigen Stücke bekannt, die jedoch auf ihren Konzerten nur selten Teil der Setlist sind. Wer möchte sich schon beim Feiern mit Herzschmerz, Politik oder dem Tod auseinandersetzen – oder gar sehnsuchtsvolle Liebeslieder grölen? Um ihren leiseren Tönen mehr Raum zu geben, findet seit fünf Jahren die „Nacht der Balladen“-Tour statt, das erste Mal 2018 natürlich in ihrem Bremer Heimathafen. Die Veranstaltungsorte auf dieser außergewöhnlichen Tour reichen von barocken Tanzsälen über ehemalige Kongresshallen bis hin zu Theatern, wie bei ihrem diesjährigen Auftritt in Hannover.
Auch die Bühnenoutfits von Malte und Co. unterschieden sich stark von jenen ihrer sonstigen Konzerte. Ungewohnt souverän in Hemden, Westen und Tweedjackett begrüßten die Folkrocker ihre Fans nach einem kurzen Intro mit dem ersten Song des Abends „Der Zauber des Wildfräuleins“, direkt gefolgt von „Windsbraut“. Trotz des gewohnten tosenden Applauses wurde schnell klar, wie anders dieser Auftritt werden würde. Versengold wurden nicht nur von einem Streichquartett unterstützt, sondern auch von einer Sängerin und einem Trommler. Außerdem konnten die Musiker endlich einmal zeigen, wie viel musikalisches Können tatsächlich in ihnen steckt. Ausnahmslos alle Bandmitglieder beherrschen mehr als ein Instrument und scheinen zudem noch ALLE singen zu können. Beim nächsten Lied „Küstenkind“ wechselte Geiger Flo auf die Mandoline und bei „Schönheit der Schatten“ saß Sean am Piano. Dass Flo behauptete, dieses Instrument gar nicht wirklich zu beherrschen, können wir wohl getrost als Understatement verbuchen.
Bei dem alten Versengold-Klassiker „Das Bier ich in der Rechten trug“ begab sich Malte auf singende und plaudernde Wanderschaft durchs Publikum und tat, was er auf Konzerten neben Gesang am meisten tut, nämlich Geschichten erzählen. Der nächste Song „Die Wilde Jagd“ zeigte uns, dass wir auch am heutigen Abend nicht auf die lauten und tanzbaren Elemente würden verzichten müssen, zur großen Freude aller Anwesenden. Schließlich gaben die Bremer mit „Lautes Gedenken“ noch ein Lied von ihrer noch nicht veröffentlichten neuen CD zum Besten, die im November erscheinen wird. Der Song ist all denen gewidmet, die schon von uns gegangen sind, und trieb wohl vielen die Tränen in die Augen. Wie passend, dass es danach eine zwanzigminütige Pause gab (wir waren ja schließlich in einem Theater!), in der wir uns die Tränen trocknen und unsere durstigen Kehlen befeuchten konnten.
Die zweite Hälfte des Abends war vor allem geprägt durch Geschichtsstunden bei „Winterflut 1717“ sowie politischen Statements mit „Alte Männer“ sowie „Tod und Trommeln“. Der seit über einem Jahr andauernde Krieg in der Ukraine ließ die für eine Lyrikband ungewohnt politischen Musiker natürlich genauso wenig kalt wie alle anderen von uns und sie machten ihrem Unverständnis, ihrer Trauer und Wut in diesen beiden Liedern vom neuen Album Luft.
Danach wurde mit „Haut mir kein Stein“ allerdings der fröhlichere und ausgelassenere Teil des Abends eingeläutet, obwohl Malte die Zeilen nach einem schweren Autounfall in Marokko geschrieben hat, bei dem er beinahe sein Leben verloren hätte. Der Text sei eine Art Testament an seine Eltern und all seine Lieben, hat allerdings eine derart lebensbejahende und positive Botschaft, dass der Song auf keinem Versengold-Konzert fehlen darf. Die Stimmung war beinahe wie bei einem ganz normalen Konzert der Folkrocker und sitzen tat schon lange kaum noch jemand. „Paules Beichtgang“ und „Thekenmädchen“ läuteten freies Eskalieren in Form von Singen, Tanzen und Feiern ein.
An das angeblich abschließende Lied „Die letzte Runde“ hatte wohl ohnehin niemand geglaubt und natürlich gaben die Musiker noch Zugaben. Vom Publikum zum St. Patrick’s Day geradezu eingefordert, performte die Band gänzlich unvorbereitet „Kobold im Kopf“, laut Sänger Malte das erste und vermutlich auch einzige Mal bei einer „Nacht der Balladen“. „Mondlicht“ und ihr klassischer „Abgesang“ beendeten schließlich diesen fantastischen Abend, bei dem zwischenzeitlich fast vergessen wurde, dass wir eigentlich ruhige und getragene Töne zelebrieren wollten. Denn gefeiert und getanzt wurde eine Menge und zwar ziemlich laut!
Text: Nina Malik, Fotos: Mina Wagner
Setlist:
• „Vom Zauber des Wildfräuleins“ • „Windsbraut“ • „Küstenkind“ • „Die Schönheit der Schatten“ • „Tjark Evers“ • „Meer aus Tränen“ • „Herz durch die Wand“ • „Das Bier ich in der Rechten trug“ • „Die wilde Jagd“ • „Lautes Gedenken“ ••• „Auf in den Wind“ • „Winterflut 1717“ • „Alte Männer“ • „Tod und Trommeln“ • „Haut mir kein‘ Stein“ • „Paules Beichtgang“ • „Thekenmädchen“ • „Die letzte Runde“ ••• „Kobold im Kopf“ • „Mondlicht“ • „Abgesang“
Für den Orkus1.com-Newsletter kannst Du Dich hier eintragen: