Q+A / Story (2): ROME: „… das Universale neben Intimem gleichgestellt atmen lassen.“
Im ersten Teil sprachen wir anlässlich des neuen ROME-Albums „Hegemonikon“ über vom Himmel fallende Songs und den wohl schwärzesten Text aus Jérômes Feder seit langem. Da knüpfen wir weiter an:
Orkus: Am Schluss kommt die Idee, sich unter neuen Fahnen zu treffen. Erinnerst du dich, wie diese Komposition entstanden ist?
Jérôme Reuter: Friede, Freude, Flakgeschütz wohl eher. Ich krieg den Song bei mir im Kopf jetzt nicht mehr von der Ukraine getrennt. Das hängt natürlich damit zusammen, dass ich während der Abschlussphase des Mix in der Ukraine war und das hat alles natürlich etwas gefärbt. Aber das war alles im Nachhinein. Das mit den „new flags“ hat natürlich jetzt einen ganz anderen Beigeschmack bekommen, der nicht in der ursprünglichen Intention des Songs lag.
O: Wir haben noch gar nicht über den Albumtitel gesprochen. Kannst du ihn erklären?
JR: „Hegemonikon“ ist – frei nach der Stoa – die Benennung des Zentralorgans der (interlektualen) Seele, die salopp formuliert unsere Gutheit oder Schlechtigkeit bestimmt. Man könnte sagen, „Hegemonikon“ ist die das Ich des Menschen repräsentierende Instanz, gleichsam die „Wurzel der Sittlichkeit“ und beherrscht die anderen Seelenvermögen. Freunde der Philosophie werden wissen, dass sich bereits bei Platon (und bei Aristoteles) die Lehre von einem hierarchischen Aufbau der menschlichen Seele mit einem beherrschenden (vernünftigen) Seelenteil findet. Mir gefällt, wenn Epiktet vom „Hegemonikon“ als der „Grundlage des sittlich Schönen und Guten“ spricht. Die Deutung des Begriffs hat sich über die Jahrhunderte natürlich gewandelt. So interpretiert Origenes das „Hegemonikon“ als das „Herz“ also, sozusagen das Symbol der menschlichen Verinnerlichung. Aber was mir am besten gefiel und mich letztlich dazu anspornte, diesen Titel zu wählen, war das der Begriff bei den Stoikern auch gleichzeitig für die „Weltseele“ steht.
O: Der Zusatz „A Journey to the End of Light“ spiegelt das Gefühl des Albums sehr gut wider. Wie finster sah es in dir selbst aus, als du daran gearbeitet hast?
JR: Das soll keine Nabelschau werden, aber sicherlich waren die letzten Jahre schwierig in vielerlei Hinsicht. Ein paar Momente sind für mich rein privat tiefschwarz gefärbt auf dem Album, aber ich empfinde das alles eher als Befreiungsschlag und für mich hat das Album mehr Licht als Schatten.
O: Was wäre zusammenfassend der rote Faden von „Hegemonikon“?
JR: Ich denke am deutlichsten tritt hier wohl das Motiv der Vertikale in den Vordergrund: Berge, Höhen, Greifvögel … das Hierarchische.
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Kompakt – Jérôme über alle Songs:
01. „A Slaughter of Crows“ – Ich habe hier Versatzstücke von Ezra Pound hineinfließen lassen. Irgendwie brauchte ich diesen als umstrittenen Schutzpatron, um mein „Hegemonikon“ zu eröffnen.
02. „No Second Troy“ – Das ist unerwartet irgendwie ziemlich „Violator“ geworden, für meine Verhältnisse. (lacht). Ich finde es einfach erfrischend.
03. „Icarus Rex“ – Ich glaub, das war der erste Song, den ich mit meinem neuen analogen Synth gebastelt hab. Zuerst waren die Loops da, und dann hab ich den Rest drum herum gebaut. Und textlich haben da einige Bilder ganz überraschend zueinander gefunden.
04. „Surely Ash“ – Wie gesagt, wohl einer der schwärzesten Texte, die ich je geschrieben habe – aber das geht etwas zu arg ins Private. Es war jedenfalls ein sehr persönlicher Blickpunkt, der hier zum Tragen kam. Das Schöne an „Hegemonikon“ ist ja, dass man das Universale neben Intimem gleichgestellt atmen lassen kann.
05. „On the Slopes of Mount Malamatiyah“ – Der nötige Anlauf zum Atlal. Kurz mal die Stimmung neu definieren, und… Kamera läuft, haha.
06. „Walking the Atlal“ – Textlich mein persönlicher Favorit. Da bin ich sehr froh, wie sich die Worte irgendwie doch zusammengefügt haben. Wie das dann wirklich vonstattenging ist mir auch im Nachhinein schleierhaft. Ich mag das Resultat jedenfalls sehr.
07. „Hearts Mend“ – Ja, das war der schwierigste Song, weil er streng genommen sehr einfach ist und auch so klingen sollte. Und der Dampfer rast zugegebenermaßen haarscharf am Kitsch vorbei. Aber das musste einfach so sein! Ich liebe diesen Song, und den haben wir auch bald fest im Live-Set eingebaut.
08. „The Ripping of the Veil“ – Das kleine Interlude zum Luftholen zwischen meinen beiden momentanen Lieblingssongs. Da muss man zwischen zwei Schlucke Rotwein ein Stück Brot zum Neutralisieren einbauen.
09. „Solar Caesar“ – Mein Favorit, weil gleichsam so düster und heiter. Da haben wir auch lange dran herumgebastelt, ehrlich gesagt. Jedenfalls gab es von dem Song einige Frühformen, die wir nach und nach verworfen haben.
10. „Stone of Light – Mer de Glace“ – Das mystische Element. Kampf der Titanen. Das vertikale Ideal von Sonne, Berg und Adler. Irgendwie auch eine Art Herzstück des Albums.
11. „New Flags“ – Man sollte meiner Meinung nach öfters eine Platte mit einem Hölderlin-Zitat zum Mitsingen beenden.
(Interview: Claudia Zinn-Zinnenburg)
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