Vor 20 Jahren: ASP + BLUTENGEL + SANGUIS ET CINIS + SAMSAS TRAUM im Interview!

Vom Geist der Zusammenarbeit – Teil 4

(Das nachfolgende Interview erschien erstmalig in der Orkus!-Ausgabe September 2003)

Vor 20 Jahren realisierte Alexander Kaschte mit Samsas Traum mit dem Album „Tineoida oder: Die Folgen einer Nacht. Eine Gothic-Oper in Blut-Moll“ eine Szenemusiker-Zusammenarbeit der Extraklasse. Wir blicken zurück und setzen das Interview mit ihm, Asp, Blutengel und Sanguis et Cinis fort. Heute nehmen wir uns den Begriff „Gothic“ vor. Über Lebenskämpfe und Klischees.

Asp: „Ich habe zu viele Kämpfe in meinem Leben, vor allem in der frühen Jugend, ausgefochten, um so sein zu dürfen, wie ich bin.“

Orkus: Stichwort Szene: Es fällt auf, dass immer mehr Gothic-Bands sich in Gesprächen vom Gothic distanzieren.
Alexander: Ich selbst bin nicht der Mensch, den man aufgrund seiner Musik katalogisieren könnte. Ich mache diese Musik nicht, weil ich Avantgarde oder Metal oder was auch immer machen will, sondern weil das alles einfach aus mir herauskommt. Weil ich so bin und mich durch die Musik ausdrücke.

Celine: „Mir kommt es auch ganz im Gegenteil eher so vor, als würden heute einige Bands verstärkt bewusst auf das „Klischee“ Gothic setzen.“

Orkus: Es geht aber nicht nur um eine Musikrichtung oder eine Art, sich anzuziehen, sondern um eine gesamte Einstellung.
Alexander: Ja, genau. Nur das Problem ist, dass ich diese Einstellung in mir trage. Dass ich so bin. Und ich habe es einfach überhaupt nicht nötig, das irgendwie nach außen hin zu zeigen.
Celine: Mir kommt es auch ganz im Gegenteil eher so vor, als würden heute einige Bands verstärkt bewusst auf das „Klischee“ Gothic setzen. Es kommt eben auch immer darauf an, wie Begriffe beziehungsweise Schubladen ausgelegt werden und von welchen Aspekten daraus sich jemand distanzieren will.
Asp: Ich sehe mich schon so lange nur als Goth, dass ich es nicht mehr anders würde formulieren wollen. Das ist für mich eine wichtige Sache, die zu meinem Leben gehört. Ich habe zu viele Kämpfe in meinem Leben, vor allem in der frühen Jugend, ausgefochten, um so sein zu dürfen, wie ich bin. Musikalisch sind natürlich auch viele andere Einflüsse verarbeitet, doch ich denke, das geht alles Hand in Hand. Mein Leben ist schwarz. Und als ich das entdeckt habe, fühlte sich das an wie ein Nachhausekommen.

Chris: „Mit der normalen Gesellschaft werde ich einfach nie konform gehen, und das ist ja auch wieder etwas, das in die Gothic-Richtung drängt.“

Alexander: Chris, siehst du dich eigentlich als Goth?
Chris: Das ist für mich eine sehr schwierige Angelegenheit, denn ich hasse diese ganzen Etiketten und Schubladen, das ist für mich generell ein rotes Tuch. Aber es geht ja um ein Lebensgefühl, das ich entdeckt habe und welches mich interessiert und geprägt hat. Ich bin da hängen geblieben und habe trotzdem ein Problem damit. Wenn jemand sagt, ich mache Gothic-Musik, würde ich zustimmen, und wenn jemand sagt, ich mache Electro Pop, wäre das auch okay. Mit der normalen Gesellschaft werde ich einfach nie konform gehen, und das ist ja auch wieder etwas, das in die Gothic-Richtung drängt.
Asp: Ich glaube, das ist auch eine Frage der inneren Toleranz. Wenn jemand von sich sagt, er sei Goth, drückt er damit etwas aus, nämlich die Bereitschaft, sich mit bestimmten Dingen auseinander zu setzen. Aber ich kann nur für mich sprechen. Mich mit meiner eigenen Endlichkeit zu beschäftigen und die Melancholie als Lebensgefühl zuzulassen, hat mich dazu gebracht, zu sagen, dass ich ein Goth bin. Und all das, was die Spaßgesellschaft
um uns herum treibt, dass alles toll sein muss, egal wie schlecht es in Wirklichkeit ist, hat dazu geführt, es auch zuzulassen, dass ich in diese schwarze Szene so sehr hineingehöre.

Alexander: Und es gibt eben auch Bands, die ihre Musik machen, welche wiederum von der Szene aufgenommen wird. Das heißt aber noch lange nicht, dass sich die Künstler selbst als Gothics fühlen müssen. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob die Leute von Bauhaus von sich gesagt hätten, dass sie „Goth“ sind.
Asp: Es gibt natürlich Extrembeispiele, dass sich manche Musiker, die wir als Urgesteine ansehen, irgendwann gesagt haben, mit diesem ganzen Klüngel habe ich überhaupt nichts zu tun und hatte ich auch noch nie, die schwarzen Klamotten hatte ich aus Versehen an, der ganze Nebel auf der Bühne, das war auch nur, weil wir uns keine anderen Spezialeffekte leisten konnten. Ich meine, dass diese Leute alle auch ganz gut von dieser Szene gelebt haben über viele Jahre, muss man nicht dazusagen; ich finde es auf der anderen Seite aber auch nicht wirklich schlimm. Wir hören die Sisters trotzdem gern, obwohl sich Andrew EIdritch zum Beispiel davon sehr distanziert hat. Für mich war das ein Schlüsselerlebnis, denn es ist völlig egal, ob er meine Lebenseinstellung teilt. Für mich ist das Goth gewesen. Und wenn er sagt, das war keiner, gut, dann habe ich mich geirrt. Dann bin ich in eine Sache reingeschlittert, wofür er dann nichts konnte.

Interview: Axel Schön, Christian Hector
Text: Axel Schön
Fotos: Jens Howorka
Layout und Bildbearbeitung: Ingo Römling

In einer Woche geht es mit dem 5. und letzten Teil weiter. Dann ergründen wir, was die Künstler damals in 20 Jahren, also „jetzt“ sahen.

Die Nostalgie-Rezension von „Tineoidea“ kannst Du hier nachlesen:

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